Hospitation

Anita Pachner

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-133

Bei einer H. ist eine Außenstehende bzw. ein Außenstehender zu Gast im beruflichen Alltag einer bzw. eines anderen oder einer ganzen Organisation, um die dortige Arbeit kennenzulernen oder zu bewerten.

Die Funktionen einer H. können vom „Beobachtungslernen“ durch Berufsanfängerinnen und -anfänger oder Studierende über die Selbstbeobachtung einer Lerngruppe bis hin zur (wechselseitigen) kollegialen Beratung reichen. Aber auch Kontrolle durch Vorgesetzte oder wissenschaftliche Untersuchungen und Theorieentwicklung (Forschungsmethoden) können leitende Interessen für die Durchführung einer H. sein. In den letzten beiden Fällen wird auch von „Unterrichtsbeobachtung“ gesprochen.

Eine H. wird regelmäßig in der Lehrerausbildung eingesetzt, wobei die Referendarin oder der Referendar dem Unterricht einer berufserfahrenen Lehrperson beiwohnt oder umgekehrt die Fachleiterin bzw. der Fachleiter den Unterricht der Referendarin bzw. des Referendars besucht. Grundsätzlich sollte „Unterrichtsbeobachtung“ die gezielte und methodisch kontrollierte Beobachtung ausgewählter Aspekte von Lehr-Lern-Prozessen umfassen. Ziel ist es, auf diese Weise zu genaueren, (intersubjektiv) nachprüfbaren sowie kommunizierbaren Aussagen und Kenntnissen über die Unterrichtswirklichkeit zu kommen (Gerl, 1990, S. 2).

Für die Erwachsenen- und Weiterbildung steht gegenwärtig insb. die Verbesserungsfunktion von Hospitationen im Vordergrund. Indem eine gegenseitige H. die Kommunikation und Reflexion über Lehr-Lern-Prozesse ermöglicht, trägt sie aber nicht nur zur Verbesserung des konkreten Lehrhandelns (Lehren) bei, sondern unterstützt auch maßgeblich die Professionalisierung der Lehrenden (Kursleitende – Trainer – Beratende), die im beruflichen Alltag häufig als „Einzelkämpfer“ agieren (müssen).

Im Kontext der H. ergibt sich jedoch ein grundsätzliches erkenntnistheoretisches Pro­blem, welches zum einen in der subjektiven Wahrnehmungsfähigkeit sowie den Erkenntnisinteressen der beobachtenden Person begründet liegt und sich zum anderen in der Begrenztheit der Beobachtbarkeit zeigt. Unterrichtswirklichkeit erschließt sich den Beobachtenden nicht „an sich“, sondern immer nur nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten (ebd.). Jede Beobachtung ist auf die äußerlich sichtbaren Faktoren des Lehr-Lern-Geschehens beschränkt, z. B. die Interaktion und Kommunikation zwischen den Lernenden bzw. Teilnehmenden oder das Vorgehen der Lehrenden. Zielvorstellungen, Erfahrungen und Wissensbestände (Wissen) dagegen bleiben, soweit sie nicht offen ausgesprochen werden, verborgen (ebd.); sie können auf der Basis des sichtbaren Verhaltens nur „gedeutet“ werden.

Um Verfälschungen der Beobachtungssituation zu vermeiden, wurde in der Literatur auf mögliche Beobachtungsfehler hingewiesen, und es wurden Beobachtungs- und Befragungsinstrumente entwickelt (ebd.; Prokop, 1980). Letztere können, wenn es um kollegiale Beratung geht, die Transparenz einer H. steigern. Besonders bedeutsam sind sie aber dann, wenn nicht nur die Sichtstrukturen erhoben, sondern auch die Tiefenstrukturen des Lehr-Lern-Geschehens interpretiert werden sollen. Hier ist die Unterscheidung zwischen Beobachtung, Bewertung und Deutung wichtig – v. a. dann, wenn die H. zur Verbesserung von Unterricht bzw. von Kursen und Seminaren (Veranstaltungen) beitragen soll. Auch die im Subjekt der oder des Beobachtenden liegende Bewertung und die daraus abgeleiteten Deutungen müssen auf intersubjektive Verständigung abzielen, z. B. durch Rückbindung an „bis auf weiteres“ gültige Wissensbestände über gelingende Lehr-Lern-Prozesse.

Hochwertiger Unterricht oder erfolgreiche Kurse und Seminare sind dann möglich, wenn es Lehrpersonen gelingt, das Lehr-Lern-Geschehen auf die Bedürfnisse und den sozialen Kontext der jeweiligen Zielgruppe auszurichten (Teilnehmerorientierung; Zielgruppenorientierung) und wenn sie die Gütekriterien qualitätsvollen Lehrens flexibel an die entsprechende Lehr-Lern-Situation anpassen können. Dies setzt das Vermögen zu systematischer Reflexion und eine forschende Haltung der Lehrenden voraus, um das eigene Lehrhandeln regelmäßig auf Situationsangemessenheit und bislang nicht hinterfragte Routinen hin analysieren zu können (Pachner, 2018).

Indem eine H. die Kommunikation und Reflexion über Lehr-Lern-Prozesse ermöglicht, leistet sie einen nachhaltigen Beitrag zur Weiterentwicklung der professionellen Handlungskompetenz (Kompetenz) von Lehrenden.

Literatur

Gerl, H. (1990). Unterrichtsbeobachtung und Hospitation. In R. Guettler & O. Peters (Hrsg.), Grundlagen der Weiterbildung – Praxishilfen (Loseblattsammlung, Kap. 7.90.20, S. 1–17). Neuwied: Luchterhand.

Pachner, A. (2018). Lehren in der Erwachsenen- und Weiterbildung. In R. Tippelt & A. von Hippel (Hrsg.), Handbuch Erwachsenenbildung/Weiterbildung (Reihe Springer Reference Sozialwissenschaften,
6., überarb. u. akt. Aufl., Bd. 2, S. 1439–1456). Wiesbaden: Springer VS.

Prokop, E. (1980). Hospitation und Unterrichtsbeobachtung. Frankfurt a. M.: PAS DVV.

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