Heimvolkshochschulen

Norbert Vogel

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-131

H. sind residenzielle Bildungsstätten mit dem Schwerpunkt auf allgemeine und politische Bildung für Erwachsene. Ihre Entstehung Anfang des 20. Jh. verdanken sie, ähnlich wie die Volkshochschulen (vhs), der Rezeption des Bildungskonzepts der dänischen Folkehøjskole von Nikolai Frederik Severin Grundtvig. Zweckfreie, lebensnahe und der Aufklärung verpflichtete Allgemeinbildung (Bildung – Allgemeinbildung) sollte auf dem Wege dialogischer und begegnungsorientierter Arbeitsformen eine Verbindung von individueller und gemeinwohlorientierter Entwicklung ermöglichen. Der in der Weimarer Republik mitschwingende, aber nur partiell realisierte Demokratisierungsimpetus war zweifellos ein leitendes Motiv für die Wieder- bzw. Neugründung von H. nach dem Zweiten Weltkrieg (Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland – bis 1918). Das ursprünglich langzeitpädagogische Konzept mehrwöchiger Kurse bei gemeinsamer Beherbergung und Verpflegung (ähnlich einem Internat) konnte zwar nicht aufrechterhalten werden, der ganzheitliche Ansatz einer Verknüpfung gemeinsamen Lernens und Lebens ist aber nach wie vor ein zentrales Element der überwiegend praktizierten mehrtägigen Veranstaltungen.

Unter dem Dach der H. versammelt sich heute eine Vielfalt von Bildungsstätten in ganz Deutschland, z. T. auch mit anderen Bezeichnungen. Ein ursprünglicher Kern hat sich mit gegenwärtig 44 bundesweiten Einrichtungen im Verband der Bildungszentren im ländlichen Raum e. V. zusammengeschlossen. Daneben gibt es weitere Landes- bzw. Trägerverbände. Die Träger der im Bundesverband assoziierten Mitglieder sind, neben vereinzelten Landwirtschaftsorganisationen, die Kirchen sowie gemeinnützige Vereine mit breitem gesellschaftlichem Hintergrund. Rund die Hälfte der Mitgliedseinrichtungen verfügt über einschlägige Qualitätsmanagementsysteme (Qualität). Ein internationaler Verbund von H. existiert nicht. Gleichwohl gibt es vielfältige Kontakte zwischen einzelnen Einrichtungen, v. a. im europäischen Raum, in dem die meisten H. nach dänischem Vorbild beheimatet sind.

Die Programme und Kursangebote (Angebot) fokussieren neben den stark vertretenen allgemeinbildenden Inhalten auf politische und wertebezogene Themen sowie auf die Befähigung für das Ehrenamt (bürgerschaftliches Lernen). Zielgruppenarbeit (Zielgruppenorientierung) sowie Netzwerke und Kooperationen spielen eine besondere Rolle. Der Verband verzeichnet im Jahr 2022 auf seiner Website (www.verband-bildungszentren.de) 22.500 Seminare und Veranstaltungen mit 500 Tsd. Teilnehmenden jährlich bei einer Gesamtzahl von rund 900 Mitarbeitenden. Der Gesamtleistungsumfang der H. liegt jedoch weitaus höher, da von mindestens 70 Bildungseinrichtungen mit einer Affinität zu H. auszugehen ist. Eine bundesübergreifende Statistik könnte die Arbeit der H. transparenter gestalten. Im Vergleich zu vhs weisen die H. eine strukturelle Fragilität auf, die durch Landeszuschüsse und Projektmittel nur bedingt aufgefangen werden kann. Es braucht eine verlässliche finanzielle Grundsicherung (Finanzierung der Weiterbildung), die den infrastrukturell bedingten Mehraufwendungen der Bildungshäuser gerade auch angesichts des digitalen Wandels gerecht wird und existenzielle Krisenlagen wie während der Corona-Pandemie abfedern kann.

Eine 2014 veröffentlichte empirische Studie zeigt, dass den H. ein unverwechselbarer Part im pluralen System der Erwachsenen- und Weiterbildung zukommt. Aus Sicht der Teilnehmenden wird über einen positiv konnotierten Zuwachs an Wissen und Kompetenzen hinaus die Anregung zu kritischer Reflexion, breitem Diskurs und gesellschaftlichem Engagement hervorgehoben. Besondere Wertschätzung erfahren die als einzigartig empfundene Lernatmosphäre, die Distanz zum routinisierten Lebens- und Berufsalltag (Alltag) sowie die intensiven Austausch- und Begegnungsräume. Neben Qualifizierung und Kompetenzentwicklung eröffnen die H. „Bildungs-Räume“ (Raum) im ursprünglichen Sinn, mit ihrem angestammten kritischen Aufklärungs- und Reflexionspotenzial. In Zeiten der Digitalisierung und Globalisierung sowie der damit einhergehenden individuellen, gesellschaftlichen und politischen Verwerfungen leisten die H. mit ihrem individualisierenden Ansatz und zugleich gemeinwohlorientierten Handlungsimpuls einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag. Zur Weiterentwicklung des spezifischen ganzheitlichen Settings der H. bedarf es jedoch größerer Beachtung in Gesellschaft, Politik (Weiterbildungspolitik) und erwachsenenpädagogischer Forschung (Weiterbildungsforschung).

Literatur

Ameln, F. von (2014). Heimvolkshochschulen in Niedersachsen. Befunde zu Profil und Bildungsverständnis (Reihe DIE aktuell). Bonn: DIE.

Vogel, N. (1994). Grundtvigs Bedeutung für die deutsche Erwachsenenbildung. Ein Beitrag zur Bildungsgeschichte. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Vogel, N. & Scheile, H. (Hrsg.). (1983). Lernort Heimvolkshochschule. Eine deutsch-dänische Untersuchung zur Positionsbestimmung der Heimvolkshochschule mit ergänzenden Beiträgen aus den Niederlanden, Österreich und der Schweiz. Paderborn: Ferdinand Schöningh.

Handlungsorientierte Didaktik
Hochschuldidaktik