Claudia Gómez Tutor
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-117
Die → Methode der generativen T. wurde von dem brasilianischen Pädagogen Paulo Freire im Kontext seiner Alphabetisierungsarbeit (→ Alphabetisierung – Grundbildung) entwickelt. Unter „generativen T.“ versteht man Worte oder Themen, anhand derer die konkret verortete Lebenswirklichkeit der → Lernenden kodiert und zum Diskussionsgegenstand gemacht wird. Die Worte oder Themen werden durch aktive Beobachtung und im Dialog mit der Lerngruppe gewonnen. Durch Reflexion und Umformung ermöglichen g. T. (lat. generāre erzeugen, hervorbringen) die Ableitung anderer Worte oder Themen. Die Zusammenstellung von verwandten Worten oder Subthemen ermöglicht die Gestaltung eines Bildungsprogramms (→ Programme).
In einem nächsten Schritt werden diese „generativen Worte“ bzw. „generativen T.“ – verstanden als „lebendige Codes“ zur Annäherung an die örtliche Realität – in dialogischen Prozessen dekodiert. „Wer nach dem generativen Thema sucht, fragt nach dem Denken des Menschen über die Wirklichkeit und nach seinem Handeln in der Wirklichkeit, worin seine Praxis beruht“, so Freire (1973, S. 88).
Die kritische Analyse im Prozess der Dekodierung führt zu einer vertieften Sicht auf die Zusammenhänge des ursprünglich nur diffus erfassten Ganzen. Durch den fortschreitenden Dekodierungsprozess und die Generierung immer neuer, für die Beteiligten bedeutenden Themen erschließen sich die Lernenden die Wirklichkeit und lernen gleichzeitig, durch die in Silben zerlegten Begriffe und die Rekombination dieser Silben ein sich immer weiter ausdifferenzierendes Vokabular zu lesen und zu schreiben (→ Literalität –
Numeralität).
Für Freire stellten g. T. die Basis dar, um pädagogische Ziele mit dem Kampf gegen Unterdrückung und Elend zu verbinden. Seinen darauf gründenden methodischen Ansatz entwickelte er in den 1960er Jahren vor dem Hintergrund der bestehenden enthumanisierenden Herrschaftsverhältnisse und der unbefriedigenden Alphabetisierungspraxis. Lernende sollten durch die Verknüpfung von Aktion und Reflexion ein kritisches Bewusstsein entwickeln. Ziel seiner Bildungsarbeit war es, dass die Menschen die vorherrschenden Machtverhältnisse, aber auch das eigene Handlungspotenzial zu erkennen lernen. Freire verstand diese Bewusstmachung und Bewusstwerdung (consientização) als Voraussetzung für eine Selbstbefreiung der unterdrückten Bevölkerung sowie für das Erlangen von Gerechtigkeit und Demokratie. Mit seinem Ansatz fokussierte er zugleich die politische Dimension von Erziehung, der er jegliche Neutralität absprach (Freire, 1973).
Seine Arbeit gründete auf der Kritik am sog. Bankierskonzept der Erziehung, bei dem Lehrkräfte die Rolle des Wissensvermittlers übernehmen. Dies führt „die Schüler dazu, den mitgeteilten Inhalt mechanisch auswendig zu lernen. Noch schlimmer aber ist es, dass sie dadurch zu ‚Containern’ gemacht werden, zu ‚Behältern’, die vom Lehrer ‚gefüllt’ werden müssen“, so Freire (ebd., S. 57). Dies lähme und behindere die schöpferische Kraft und die → Kreativität der Lernenden und übertrage ihnen als einzige Aufgabe, vorgegebene und aufbereitete → Inhalte unreflektiert aufzunehmen (ebd., S. 77).
In der subjektorientierten (→ Subjektorientierung) und problemformulierenden Bildungsarbeit von Freire steht hingegen die Auflösung der Hierarchie zwischen Lehrenden und Lernenden und somit der Dialog zwischen ihnen im Fokus (Novy, 2007). Methodisch bedeutet dies, dass Lerninhalte nicht vorgegeben, sondern unter Einbeziehung des Umfelds der Lernenden (→ Lebenswelt) gemeinsam ausgewählt und erarbeitet werden. Gegenstand des Lernens sind dann g. T. (ebd., S. 90).
Freires methodischer Ansatz hat in vielen Ländern breite Anerkennung erfahren. Auch in Europa konnte er Fuß fassen und wird gegenwärtig in der Erwachsenenbildung und v. a. in der Sozialpädagogik, speziell in der → politischen Bildung und interkulturellen Arbeit sowie der Inklusionspädagogik (Funke, 2010), rezipiert. Die Berücksichtigung des sozialen und gesellschaftlichen Kontextes führte auch zu Auswirkungen auf die „Theologie der Befreiung“ in Lateinamerika. Schließlich sind Einflüsse auf die kritische Pädagogik zu verzeichnen sowie – trotz einer anderen theoretischen Ausgangsposition Freires – eine Nähe zur → Ermöglichungsdidaktik in der Erwachsenenbildung aufgrund der gemeinsamen Elemente: dialogisches Prinzip, Aktivität und subjektive Relevanz von Inhalten (→ Teilnehmerorientierung).
Literatur
Freire, P. (1973). Pädagogik der Unterdrückten. Bildung als Praxis der Freiheit. Reinbek b. Hamburg: Rowohlt.
Funke, K. (2010). Paulo Freire: Werk, Wirkung und Aktualität. Münster: Waxmann.
Novy, A. (2007). Die Welt ist im Werden. Über die Aktualität von Paulo Freire. Journal für Entwicklungspolitik, 23(3), 29–57.