Burkhard Schäffer
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-116
Zentral für die Theoriebildung zum Thema G. ist die Annahme, dass Erlebnisse in der Jugend- und frühen Erwachsenenzeit zu Erfahrungszusammenhängen gerinnen können (→ Erfahrungen – Erfahrungsorientierung), denen eine orientierende Kraft für späteres Denken und Handeln innewohnt (→ Sozialisation). Je nach Verwendung wird der Begriff G. unterschiedlich besetzt: Er wird genealogisch als Abstammungsfolge (z. B. Gründer- und Nachfolgergeneration), pädagogisch als das Verhältnis der älteren zur jüngeren G. und soziologisch-historisch als eine gemeinsame Orientierung naheliegender Geburtskohorten beschrieben. In essayistischen Konzepten der G. wird der Begriff oft verwechselt mit dem chronologischen Alter einer Person (z. B. sie ist 60 Jahre und gehört zur älteren G.), der Zugehörigkeit zu einer Altersgruppe (z. B. die G. der Kinder, Jugendlichen, Erwachsenen) oder zu einer Alterskohorte (z. B. Angehörige der zwischen 1990 und 1995 geborenen G.).
Der Begriff G. unterliegt, wie andere Kollektivbegriffe auch, einer gewissen Unschärfe, weshalb er in der quantitativen Sozialforschung zugunsten des Begriffs „Kohorte“ aufgegeben wurde. Es werden z. B. Geburts-, Einschulungs-, Heirats- oder Studienkohorten unterschieden und u. a. in sog. Age-Period-Cohorts(APC)-Studien untersucht. Mittels APC-Studien wird nach statistischen Zusammenhängen zwischen Alter, zeitgeschichtlichen Großereignissen (z. B. Kriegen) und Kohortenzugehörigkeiten gesucht.
In vielen erziehungswissenschaftlichen Veröffentlichungen wird, in Anschluss an Friedrich Schleiermachers Diktum „Was will denn eigentlich die ältere Generation mit der jüngeren?“ unter den Begriff G. hingegen das pädagogische Mikroverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern bzw. Jugendlichen gefasst. Unter andragogischen Gesichtspunkten (→ Andragogik) sind jedoch die Verhältnisse zwischen generationalen Lagerungen im Erwachsenenalter weitaus interessanter, z. B. zwischen jüngeren Dozierenden –
und älteren → Teilnehmenden. In der Literatur der Erwachsenenbildung wird hierbei jedoch oft unzureichend zwischen „Altersgruppe“ und G. differenziert. Ob es sich um einen Generationenaspekt handelt, der in das Altersgruppenverhältnis zwischen 30- und 50-Jährigen hineinspielt oder nicht andere Unterschiede (z. B. die Geschlechterposition oder das Bildungsmilieu) maßgeblich sind, ist eine nur empirisch beantwortbare Frage.
Für eine gehaltvolle empirische Generationenforschung, die nicht davon ausgeht, dass jemand qua Geburt einer G. angehört, ist die Generationentheorie von Karl Mannheim aus dem Jahr 1928 nach wie vor einträglich. Mannheim (1964) stellte die These auf, dass kollektiv wahrnehmbare Ereignisse zu einem gegebenen Zeitpunkt in einer bestimmten → Gesellschaft von unterschiedlichen (Alters-)Gruppen unterschiedlich erfahren und verarbeitet werden und sich daraus → sozialer Wandel ableitet. Insb. im Jugend- und frühen Erwachsenenalter würden, so Mannheim, Ereignisse in anderen Zeithorizonten erlebt als vom Rest der Gesellschaft. Aus solchen Konstellationen der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ konstituierten sich bei gesellschaftlichen Krisen und auch in Zeiten schnellen gesellschaftlichen, soziokulturellen oder technischen Wandels parallele Erfahrungszusammenhänge, die mit dem Geburtszeitraum zusammenhängen können (aber nicht müssen).
Für den Nachvollzug dieses Prozesses ist die Differenzierung von Generationslagerungen, -einheiten und -zusammenhängen sinnvoll (ebd.): Mit „Generationslagerung“ wird das Geborensein zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb eines bestimmten gesellschaftlich-kulturellen Gebildes bezeichnet. Aus einer Lagerung können sich verschiedene, z. T. miteinander konkurrierende Generationseinheiten herausbilden, die im Hinblick auf das gleiche Ereignis (z. B. Corona-Pandemie) konträre Sichtweisen und (Handlungs-)Orientierungen herausbilden (z. B. Leugnen oder „AHA-Regeln“ einhalten). Hierbei spielt nicht nur das ähnliche Alter eine Rolle: Generationseinheiten sind vielmehr verflochten mit anderen Lagerungsdimensionen, z. B. dem Geschlecht oder der formalen → Bildung. Mit Bezug aufeinander bilden sie einen Generationszusammenhang, der je nach Stärke der Erfahrung mehr oder weniger überdauernd orientierungswirksam ist.
In Forschung und Praxis der Erwachsenenbildung ist ein so gefasster Generationenbegriff in vielerlei Form fruchtbar, z. B. beim → Wissenstransfer im Generationswechsel in Weiterbildungsorganisationen (Kade, 2004), bei der Unterscheidung intergenerationeller Bildungsprozesse im Kontext „generationsspezifischer Medienpraxiskulturen“ (Schäffer, 2003) oder bei der Thematisierung intergenerationellen Lernens (→ intergenerationelle Bildung) (Franz, 2009).
Literatur
Franz, J. (2009). Intergenerationelles Lernen ermöglichen. Orientierungen zum Lernen der Generationen in der Erwachsenenbildung (Reihe Erwachsenenbildung und lebensbegleitendes Lernen – Forschung & Praxis, Bd. 14). Bielefeld: W. Bertelsmann.
Mannheim, K. (1964). Das Problem der Generationen. In K. Mannheim (Hrsg.), Wissenssoziologie. Auswahl aus dem Werk (Reihe Soziologische Texte, Bd. 28, S. 509–565). Berlin: Luchterhand.
Kade, S. (2004). Alternde Institutionen – Wissenstransfer im Generationenwechsel. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
Schäffer, B. (2003). Generationen – Medien – Bildung. Medienpraxiskulturen im Generationenvergleich. Opladen: Leske + Budrich.
Schäffer, B. (2012). Generation. Eine Analysekategorie für die Erwachsenen- und Weiterbildungsforschung. In B. Schäffer & O. Dörner (Hrsg.), Handbuch qualitative Erwachsenenbildungs- und Weiterbildungsforschung (S. 475–488). Opladen: Barbara Budrich.