Sigrid Nolda
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-111
Unter F. versteht man → Sprachen, die nach dem Erwerb einer Erstsprache bzw. bei mehrsprachigem Aufwachsen (→ Mehrsprachigkeit) nach dem Erwerb mehrerer Erstsprachen erlernt bzw. gelehrt werden können. → Deutsch als Zweitsprache (DaZ) bezeichnet neben dem Status der deutschen Sprache für Sprechende oder Lernende, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, die Vermittlung der deutschen Sprache an diese Gruppe im Ausland oder Inland.
F. werden ungesteuert in der alltäglichen Kommunikation oder systematisch durch Lehrmedien (→ Medien in Lehr-Lern-Prozessen) und/oder → Unterricht erworben. Anders als bei Kindern und Jugendlichen stehen für Erwachsene beim meist freiwilligen Fremdsprachenlernen berufliche, touristische oder gesellige Motive im Vordergrund; der Unterricht von DaZ im Inland ist oft durch die Lebenssituation der Lernenden als Migrantinnen und Migranten oder Flüchtlinge (→ Migration) bestimmt. So ist die erfolgreiche Teilnahme an DaZ- und Integrationskursen Voraussetzung für eine Aufenthaltsgenehmigung in Deutschland.
Zweifel an der Fähigkeit von Erwachsenen und speziell von Älteren zum Erlernen von F. sind durch entsprechende Forschungen relativiert worden. Tatsächlich ist der späte Erwerb einer nahezu muttersprachlichen → Kompetenz eher unwahrscheinlich, und Fossilierungen eines unzulänglichen Sprachbeherrschungsniveaus sind – speziell beim ungesteuerten Erwerb – relativ häufig. Prinzipiell ist das Fremdsprachenlernen Erwachsener aber stark von den jeweiligen früheren Lernerfahrungen geprägt (→ Biografie).
Das für die Erwachsenenbildung entwickelte → Lehr-Lern-Ziel der kommunikativen Kompetenz und damit der Gesprächsfähigkeit hat sich mittlerweile auch im schulischen Fremdsprachenunterricht durchgesetzt. In Fremdsprachenkursen für Erwachsene stellen der Abfall der Anfangsmotivation (→ Lernmotivation – Lerninteresse; → Weiterbildungsmotivation) und der damit oft verbundene → Dropout sowie die Heterogenität der → Teilnehmenden besondere Herausforderungen dar. Der mit dem Fremdsprachenlernen verbundene Bildungsgedanke (→ Bildung – Allgemeinbildung), wie ihn Wilhelm von Humboldt formulierte, ist – trotz einschlägiger Lippenbekenntnisse – in den Hintergrund getreten. Reste sind aber im Konzept der interkulturellen Kompetenz enthalten, soweit es um die Steigerung von Wahrnehmungsfähigkeit und die Reflexion eigener Vorurteile gegenüber anderen Kulturen und Verhaltensweisen geht.
Dem Fremdsprachenlernen Erwachsener dienen zahlreiche, das Selbstlernen fördernde Lehrmedien und eine große Zahl an Anbietern von Kursen. Dabei nehmen abschlussbezogene Kurse (→ abschlussbezogene Weiterbildung) eine besondere Stellung ein. Der größte öffentlich geförderte Anbieter von Sprachkursen ist die → Volkshochschule (vhs). Innerhalb der vhs nehmen diese Kurse den größten Teil an durchgeführten Unterrichtsstunden ein (2019: 56 %). An der Spitze des Angebots stehen DaZ-Kurse (2019: 68 %), über die Hälfte davon Integrationskurse. Die hohe Anzahl von Integrationskursen verschiebt das Ziel des Erlernens von Deutsch als einer Fremdsprache auf Deutsch als Zweitsprache und macht auf die Relevanz von Sprachlernberatungen aufmerksam. Für die vhs wurden in der 1960er und 1970er Jahren → Zertifikate für F. entwickelt (→ Sprachenzertifikate). Die Herstellung einer übernationalen Vergleichbarkeit von Sprachprüfungen strebt der in den 1990er Jahren vom Europarat entwickelt Gemeinsame Europäische Referenzrahmen (GER) für Sprachen an, der das Sprachniveau von Lernenden in genau definierte Kompetenzstufen einteilt. Diese Einteilung soll auch für den Sprachenpass des Europäischen Sprachenportfolios für Erwachsene genutzt werden, mit dem Sprachenlernende ihre Kenntnisse dokumentieren können. Die Europäische Gemeinschaft fördert ausdrücklich das Fremdsprachenlernen und hat das Ziel formuliert, dass jede Bürgerin und jeder Bürger (neben der Muttersprache) mindestens zwei Gemeinschaftssprachen erlernen sollte, um die beruflichen und persönlichen Möglichkeiten des europäischen Binnenmarkts nutzen zu können.
Das Praxisfeld des organisierten Fremdsprachenlernens Erwachsener ist im Unterschied zum Schulunterricht durch adressaten- und anwendungsspezifische Differenzierung, eine vergleichsweise hohe Flexibilität im Aufgreifen aktueller Bedarfe und die große Zahl muttersprachlicher Lehrender gekennzeichnet. Theoretisch unterstützt wird es im Wesentlichen durch methodische Empfehlungen und Forschungen der Fremdsprachendidaktik, der Sprachandragogik bzw. -geragogik, der Sprachlehr- und -lernforschung und der Zweitsprachenerwerbsforschung. Aus der Erwachsenenbildungswissenschaft liegen vereinzelte Studien der Biografie-, Professions-, Kurs- und → Adressatenforschung zu diesem Bereich vor. Für Praxis, Empirie und Theorie gleichermaßen herausfordernd sind aktuell die Möglichkeiten des mobilen, digitalen Fremdsprachenlernens (→ digitales Lernen).
Literatur
Auer, C. (2013). Fremdsprachenerwerb Erwachsener in der Weiterbildung (Reihe Erwachsenenbildung und lebensbegleitendes Lernen, Bd. 19). Bielefeld: W. Bertelsmann.
Berndt, A. (2013). Fremdsprachen in der Perspektive lebenslangen Lernens (Reihe Fremdsprachen lebenslang lernen, Bd. 1). Frankfurt a. M.: Peter Lang.
Nolda, S. (2017). Fremdsprachenlernen Erwachsener. Qualitative Zugänge (Reihe Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung, Bd. 38). Bielefeld: wbv Publikation.