Joachim Ludwig
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-094
E. L. ist ein Begriff aus der Kritischen Psychologie, den Klaus Holzkamp in den Mittelpunkt seiner Lerntheorie stellte. E. L. basiert auf dem Lerninteresse der Lernenden (→ Lernmotivation – Lerninteresse) und hat eine erweiterte gesellschaftliche Teilhabe zum Ziel. Im Unterschied dazu liegt defensives Lernen in fremden Interessen und Lernanforderungen begründet. E. L. zielt nicht, wie das defensive Lernen, auf die Abwehr von Beeinträchtigungen (z. B. Jobverlust), sondern auf die erweiterte Verfügung über die eigenen Lebensumstände.
→ Lernen wird bei Holzkamp (1993) als eine reflektierte Form gesellschaftlichen Handelns entworfen und nicht als innerpsychischer kognitiver Prozess (→ Kognition). Holzkamps Lerntheorie nimmt als Handlungstheorie Bezug auf den dialektischen Materialismus, den → Symbolischen Interaktionismus sowie den Pragmatismus. E. L. lässt sich zu handlungstheoretisch begründeten Lerntheorien, wie die von Yrjö Engeström oder Jean Lave und Etienne Wenger, in Beziehung setzen. Ausgangspunkt des Lernens bildet eine eingeschränkte Handlungsfähigkeit (Handlungsproblematik, Irritation). Liegt eine Diskrepanzerfahrung und eine entsprechende Befindlichkeit vor, nehmen → Lernende eine Lernanstrengung auf sich, um sich in einem Prozess der Selbstverständigung über die problematisch gewordene Situation neu zu orientieren und Handlungsmöglichkeiten zu erreichen, die eine erweiterte gesellschaftliche Teilhabe versprechen. E. L. ist ein Prozess, in welchem die Lernenden ihre Verständigung über sich selbst, d. h. über ihr biografisches (→ Biografie) und situationales Lernen und Handeln, vorantreiben.
E. L. und defensives Lernen dürfen nicht von der Außenperspektive her betrachtet als → Lernstile oder Lerntypen missverstanden werden. Expansive und defensive Lernbegründungen stellen vom Standpunkt der Lernenden aus gesehen eine intrasubjektive Handlungsalternative dar, mit der sie sich begründet für die Überwindung von Einschränkungen oder für das Einrichten unter den gegebenen Machtverhältnissen entscheiden können. Das Begriffspaar beschreibt kein polares Schema, sondern einen analytischen Rahmen für empirische Untersuchungen. Dabei lässt sich sowohl die Begrenztheit defensiven Lernens als auch die Überwindung einer Grenze durch e. L. empirisch fassen. Ob sich diese Überwindung am Ende als e. L. darstellt oder ob sie sich im weiteren Handeln in der gesellschaftlich gegebenen Widersprüchlichkeit verstrickt, bleibt offen. Wie → Bildung lässt sich auch e. L. nicht konkret bestimmen.
Aus erwachsenenpädagogischer Sicht ist die Kategorie e. L. mehrfach interessant:
- Es finden sich eine Reihe empirischer Untersuchungen (Ludwig, 2012) zu Lerngründen (→ Weiterbildungsmotivation) und Lernwiderständen (→ Dropout) in unterschiedlichen Feldern der Erwachsenenbildung.
- Wie Bildung ist auch e. L. ein Prozess der Welt- und Selbstverständigung. Dies ist eine neue Perspektive, weil Lernen in der → Pädagogik überwiegend kognitionspsychologisch mit Blick auf Bildung als ein Stufenprozess gedacht wird. Als Welt- und Selbstverständigungsprozess fällt e. L. mit dem Bildungsprozess zusammen und macht ihn untersuchbar.
- Mit dem Holzkampschen Lernbegriff lassen sich Lernprozesse in informellen Kontexten rekonstruieren (→ formale – non-formale – informelle Bildung), weil Lernen auch ohne pädagogisch Handelnde verstehbar wird.
- Die Pädagogik kann mit dem Begriff e. L. die Weltlosigkeit des kognitiven Lernbegriffs überwinden und Lernen als gesellschaftliches Handeln zur Erweiterung von Teilhabe verstehbar machen. E. L. eignet sich damit in praktischer Hinsicht für eine → Didaktik der Lernberatung und Lernunterstützung (→ Beratung im Kontext lebenslangen Lernens).
Literatur
Faulstich, P. & Ludwig, J. (Hrsg.). (2004). Expansives Lernen (Reihe Grundlagen der Berufs- und Erwachsenenbildung, Bd. 39). Baltmannsweiler: Schneider.
Holzkamp, K. (1993). Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung. Frankfurt a. M.: Campus.
Ludwig, J. (2012). Zum Verhältnis von pädagogischer Lernforschung und Lehr-Lernforschung. In C. Hof, S. Schmidt-Lauff & H. von Felden (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Lernen. Dokumentation der Jahrestagung der Sektion Erwachsenenbildung der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft vom 22.–24. September 2011 an der Universität Hamburg (S. 80–92). Baltmannsweiler: Schneider.