Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung

Josef Schrader

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-060

Mit dem Bedeutungsgewinn des Volksbildungswesens im Übergang vom 19. zum 20. Jh. mehrten sich Stimmen, die für eine Verwissenschaftlichung der Erwachsenenbildung (Erwachsenenbildung als Wissenschaft) warben: zum einen durch eine Verankerung als Lehrfach an Universitäten (so der Marburger Neukantianer Paul Natorp auf dem 5. Deutschen Volkshochschultag 1912), zum anderen durch eine institutionell verlässliche wissenschaftliche Begleitung der Praxis (Theorie und Praxis). Auf der Grundlage einer Denkschrift Theodor Bäuerles, Initiator und Gründungsmitglied des Hohenrodter Bunds, erhielt Wilhelm Flitner nach internen Diskussionen den Auftrag, den Plan für eine Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung (DtSch) auszuarbeiten. 1926 vorgelegt, konnte die DtSch mit maßgeblicher Unterstützung Robert von Erdbergs 1927 gegründet werden. Sie wurde institutionell zunächst in der Vereinsstruktur des Hohenrodter Bunds verankert und arbeitete von 1930 bis 1933 als eigenständiger eingetragener Verein, zu Beginn in Stuttgart, dann in Berlin. Vorsitzender war in den Jahren 1927 bis 1933 Theodor Bäuerle. Der bescheidene Etat aus Mitteln des Reichsministeriums des Innern und mehrerer Länderministerien erlaubte lediglich die Finanzierung einer Geschäftsführung und eines Sekretariats. Begleitet wurde die Arbeit von einem Pädagogischen Rat, in dem, den „Binnenpluralismus“ (Tietgens, 1982, S. 14) der Weimarer Volksbildung sichernd, u. a. Eugen Rosenstock-Huessy, Walter Hofmann und Wolfgang Pfleiderer mitarbeiteten. Die Arbeitsstellen für Erwachsenenbildungstheorie, für ländliche Bildungsarbeit sowie für Arbeiterbildung und Industriepädagogik waren auf das Engagement von Freiwilligen angewiesen (Ehrenamt). Regelmäßig angeboten wurden u. a. ein- bis mehrwöchige „Arbeitswochen“ und „Akademien“ für das pädagogische Personal; hinzu kam die Herausgabe der Zeitschrift „Freie Volksbildung“. Im Sommer 1931 veranstaltete die DtSch gemeinsam mit dem Reichsverband der Volkshochschulen eine Arbeitstagung an der Ostsee, auf der die „Prerower Formel“ verabschiedet wurde, ein zentrales Dokument für eine (erste) realistische Wende der Erwachsenenbildung.

Eine historisch-kritische und quellengesicherte Analyse der Leistungen der DtSch, ihrer Positionierung im verbandspolitischen Wettbewerb um öffentliche Aufmerksamkeit und Förderung und ihrer teils in der Romantik, teils in der Aufklärung verankerten Programmatik steht noch aus (Heuer, 2018). Fritz Laack (1984) hat als ehemaliger Geschäftsführer eine Darstellung vorgelegt, sich aber vornehmlich auf persönliche Archivmaterialien gestützt. Hans Tietgens (1982) skizzierte, wie die DtSch in eine noch zu schreibende Geschichte verbandlicher und außeruniversitärer Forschungs- und Serviceeinrichtungen einzuordnen wäre. Zum Ausgangspunkt nahm er die Denkschrift Flitners, die der DtSch drei Aufgaben zuwies: Sie sollte eine Stätte der Weiterbildung und der Selbstbildung der Mitarbeitenden in der Volksbildung sein, „Mission“ leisten für den Volksbildungsgedanken bei Berufsgruppen, die für „Volkserziehung“ relevant waren (Ärzte, Juristen, Pfarrer, Lehrer, aber auch Leiter der Lehrwerkstätten, Obleute in Parteien und Gewerkschaften, Organisatoren der Wirtschaft und der Staatsfunktionen), und schließlich Forschung zu den „Erscheinungen des Volkslebens in volkserzieherischer Bedeutung“ ermöglichen. Tietgens sah Gemeinsamkeiten zur Arbeit der Pädagogischen Arbeitsstelle (PAS) des Deutschen Volkshochschul-Verbands (DVV) (später: Deutsches Institut für Erwachsenenbildung, DIE) in der Verknüpfung von Ausbildung und Forschung, in der Diskrepanz zwischen hohen Ansprüchen bei gleichzeitig begrenzten Ressourcen, im Beitrag zur Forschung, der allenfalls initiativ gedacht und an die Zusammenarbeit mit Universitäten gebunden war, die aber begrenzt blieb. Wollte man das DIE in eine solche Traditionslinie einordnen, so stieße man auf den Versuch, das Zusammenspiel von Forschung und Professionalisierung im Rahmen einer Konzeption von anwendungsorientierter Grundlagenforschung auf eine neue Basis zu stellen. Aber auch, wenn das DIE mithilfe digitaler Medien eine größere Reichweite erzielen kann, so bleibt hier die Arbeit exemplarisch und prototypisch. Der Anspruch einer wissenschaftlichen Begleitung erwachsenenpädagogischer Praxis in ihrer Breite ist also noch uneingelöst.

Literatur

Heuer, K. (2018). Die Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung. In B. Käpplinger &
M. Elfert (Hrsg./Eds.), Verlassene Orte der Erwachsenenbildung in Deutschland/Abandoned places of adult education in Canada (Reihe Studien zur Pädagogik, Andragogik und Gerontagogik, Bd. 74, S. 35–47/Series Studies in Pedagogy, Andragogy, and Gerontagogy, vol. 74, pp. 35–47). Frankfurt a. M.: Peter Lang.

Laack, F. (1984). Das Zwischenspiel freier Erwachsenenbildung. Hohenrodter Bund und Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung in der Weimarer Epoche. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Tietgens, H. (1982). Fünfundzwanzig Jahre Pädagogische Arbeitsstelle 1957–1982. Mit einem Rückblick auf die ‚Deutsche Schule für Volksforschung und Erwachsenenbildung‘ 1927–1933. Frankfurt a. M.:
PAS DVV.

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