Demografischer Wandel

Rudolf Tippelt

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-056

D. W. umfasst die Veränderung der Zusammensetzung von Altersstruktur, Geburtenzahlen und Sterbefälle der Bevölkerung in einer Gesellschaft. In den letzten Jahrzehnten wird d. W. weltweit auch durch Migration beeinflusst.

Mit Blick auf die globalen Entwicklungen lässt sich die Situation in Deutschland wie folgt einordnen: Trotz einer weltweiten Abnahme der Geburtenraten ist ein weiteres, wenngleich reduziertes Bevölkerungswachstum von derzeit ca. 8 Mrd. auf ca. 11 Mrd. Menschen im Jahr 2100 zu erwarten (United Nations, 2015). Deutliche Alterungsprozesse sind in nahezu allen Ländern zu beobachten, was besonders auf die steigende Lebenserwartung in Ländern mit derzeit niedriger Lebenserwartung zurückzuführen ist. Hervorzuheben ist die Tatsache, dass die Dynamik und Richtung des demografischen Wandels und die damit verbundenen Bevölkerungstrends regional und sozial-strukturell sehr unterschiedlich sind. So verläuft auch der demografische W. in Deutschland regional ausgesprochen divergent, weil viele ländliche Regionen tatsächlich stark schrumpfen und altern, während viele Städte rasant wachsen und die Versorgung mit Wohnraum und Infrastruktur kaum Schritt halten kann. Insgesamt ist der demografische W. in Deutschland aus historischer Perspektive der Bevölkerungswissenschaft in Bezug auf Größe und Vielfalt nicht besonders auffällig; allerdings ist die enorme Dynamik der Alterung in Deutschland neu. Noch Ende des 19. Jh. lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei Geburt in Deutschland unter 50 Jahren, heute aber liegt sie bei Frauen deutlich über 80 Jahren, bei Männern knapp unter 80 Jahren. Die gewonnenen Lebensjahre müssen nun auch gestaltet werden (Tippelt et al., 2009).

D. W. beeinflusst unmittelbar die Nachfrage nach Bildungsangeboten im schulischen und außerschulischen Bereich – v. a. quantitativ über die Größe der Geburtskohorten. Insb. erhöht der Anstieg der Lebenserwartung die Bedeutung lebenslangen Lernens (lifelong learning). Dieser Effekt verstärkt sich, wenn in Zukunft immer mehr gut gebildete Menschen gesund älter werden und eine längere und intensivere gesellschaftliche Teilhabe anstreben. Die alternde Gesellschaft – oder besser: die Gesellschaft des langen Lebens –
ist also durch neue Bildungsbedarfe bestimmt (Expertenkommission, 2010).

Bezieht man den demografischen W. auf die Perspektive der Lebenslaufforschung (Lebenslauf) und Weiterbildung, so lässt sich konstatieren, dass Ältere heute über hohe Ressourcen, über Berufs- und Lebenserfahrung (Erfahrungen – Erfahrungsorientierung) wie auch über kristalline Intelligenz verfügen (Intelligenzentwicklung im Erwachsenenalter), was in beruflichen wie auch in kulturellen und politischen Wirkungsfeldern von sehr großem Wert sein kann (Friebe, Schmidt-Hertha & Tippelt, 2014). Allerdings müssen kognitive, soziale und motorische Aktivitäten durch Bildung und Lernen angeregt und unterstützt werden (Altersbildung – Alternsbildung – Altenbildung; Entwicklungspsychologie im Erwachsenenalter), um diese besonderen Fähigkeiten von Älteren in deren eigene Lebensentwürfe und auch in die Lebensumwelten sinnvoll zu integrieren. Es geht aber auch um die Erhaltung von Kompetenzen (z. B. Literalität und Numeralität, Problemlösen) und die Förderung einer entsprechenden Motivstruktur. Interessant ist, dass sich fast 80 Prozent der Erwachsenen in der zweiten Lebenshälfte altersgemischte Lerngruppen wünschen (Tippelt et al., 2009). D. W. bringt somit auch die Herausforderung mit sich, das intergenerative Lernen (intergenerationelle Bildung) zu entfalten, denn es geht durch die veränderten demografischen Bedingungen darum, die jeweils anderen Generationen und deren Deutungsmuster zu verstehen.

Künftig wird ein demografieadaptiertes Bildungsmanagement notwendig sein (Hüther & Naegele, 2012; Tippelt et al., 2009), wobei

  1. die langfristige Sicherung des gesellschaftlichen Wohlstands aus Sicht des demografischen Wandels auf die Gewinnung von Fach- und Führungskräften durch Migration und durch Weiterbildung angewiesen ist;
  2. die individuellen Aufstiegschancen und damit auch die sozialen Teilhabechancen gefördert werden, da Bildung ein wesentliches Instrument zur aktiven Inklusion darstellt – und dies in allen Alterskohorten;
  3. die Bildungsbeteiligung aller sozialen Gruppen über den gesamten Lebensverlauf hinweg erhöht wird.

Mehr Durchlässigkeit und Flexibilität, größere Nachfrageorientierung (Bildungsbedarfsanalyse – Bildungsbedarfserschließung) und eine Angebotserweiterung (Angebot) über den gesamten Lebenslauf sind mithin wesentliche Bestandteile von Bildung im demografischen W.

Literatur

Expertenkommission. (2010). Altersbilder in unserer Gesellschaft. Sechster Altenbericht der Bundesregierung. Bundestagsdrucksache. Berlin: Deutscher Bundestag.

Friebe, J., Schmidt-Hertha, B. & Tippelt, R. (Hrsg.). (2014). Kompetenzen im höheren Lebensalter. Ergebnisse der Studie „Competencies in Later Life“ (CiLL). Bielefeld: wbv Publikation.

Hüther, M. & Naegele, G. (Hrsg.). (2012). Demographiepolitik – Herausforderungen und Handlungsfelder. Wiesbaden: Springer VS.

Tippelt, R., Schmidt, B., Schnurr, S., Sinner, S. & Theisen, C. (Hrsg.). (2009). Bildung Älterer – Chancen im demografischen Wandel (Reihe DIE spezial, Bd. 5). Bielefeld: W. Bertelsmann.

United Nations. (2015). World population prospects. The 2015 revision. New York (US): UN.

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