Marcus Hasselhorn & Cora Titz
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-041
Die B. beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten von Personen in formalen und non-formalen Lehr-Lern-Kontexten (Bildungssituationen) über die gesamte Lebensspanne hinweg (→ lifelong learning). Dazu gehören auch die Beeinflussbarkeit ihres Erlebens und Verhaltens sowie die Bedingungen dieser Beeinflussbarkeit. In der B. wird „Bildung“ gleichzeitig als Prozess und als Produkt des Prozesses verstanden. So geht es im Bildungsprozess um den Aufbau gesellschaftlich-normativ wünschenswerter Eigenschaften und Verhaltensweisen von Personen (Bildungskomponenten). Das Ergebnis und somit das Produkt des Bildungsprozesses sind die erworbenen → Kompetenzen (Fertigkeiten und → Wissen) sowie die verinnerlichten Einstellungen, Überzeugungen und Wertorientierungen von Personen.
Die B. spannt ein breites thematisches Feld in den Bereichen → Bildung, Erziehung und → Lernen auf. Spiel et al. (2012) schlagen vor, die B. durch drei Dimensionen zu charakterisieren: (1) die individuelle Bildungskarriere, (2) die Aufgabenbereiche und (3) die Handlungsebenen.
Zu (1). Die individuelle Bildungskarriere schließt die gesamte Lebensspanne ein, vom Säuglings- und Kleinkindalter bis hin zum höheren Erwachsenenalter.
Zu (2). Als Aufgabenbereiche kommen Forschung, Beratung, Prävention, Intervention und → Evaluation bzw. → Monitoring in Betracht.
Zu (3) Bezüglich der Handlungsebenen wird zwischen psychologischen Handlungsmöglichkeiten auf der Mikro-, Makro- und Mesoebene unterschieden. Die Mikroebene umfasst die Beobachtung, Beschreibung, Erklärung und Beeinflussung individueller Bildungsbedingungen (z. B. die Bedingungen erfolgreicher Integration von Migrantinnen und Migranten in Sprach- oder Berufsvorbereitungskursen). Auf der Mesoebene werden Institutionen und die dort gegebenen Rahmenbedingungen betrachtet (z. B. → Organisationsberatung zur → Führungskräftebildung, Programme zu Bildungskooperationen jüngerer und älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer). Die Makroebene schließlich umfasst bildungspolitisch relevante Gesamtsysteme (z. B. Beratung von Bundesländern zur Nutzung vorhandener oder zum Aufbau flächendeckender Strukturen zur Steuerung von Bildungs- und Berufsangeboten, z. B. im Hinblick auf die gesellschaftliche Integration von Migrantinnen und Migranten oder von straffällig gewordenen Menschen).
Der Begriff B. wurde zwar Spiel et al. (2012) zufolge bereits 1931 erwähnt, geriet danach aber in Vergessenheit. Die ersten Publikationen zur B. als Wissenschafts- und Anwendungsdisziplin sind erst wieder in diesem Jahrhundert erschienen (z. B. Spiel & Reimann, 2005). Die Abgrenzung zur Pädagogischen Psychologie ist strittig, da sie sich im Großen und Ganzen denselben Gegenständen widmet, wenngleich ihr Fokus nach wie vor eher auf dem Bereich der schulischen Bildung liegt. Grund für die Konzeption einer B. waren nach Spiel und Reimann (ebd.) die zu geringe Sichtbarkeit der Leistungen und Potenziale der Psychologie im Bildungsbereich, unklare Gegenstandsbenennungen und nicht ausreichende Strukturierungsversuche innerhalb der Pädagogischen Psychologie als Disziplin sowie die große Akzeptanz des Bildungsbegriffs. Aufgrund der thematischen Spannbreite der B. werden viele Themen in Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen bearbeitet
(→ Bezugswissenschaften; → Interdisziplinarität).
Literatur
Spiel, C. & Reimann, R. (2005). Bildungspsychologie. Psychologische Rundschau, 56(4), 291–294.
Spiel, C., Schober, B., Wagner, P., Finsterwald, M., Lüftenegger, M., Strohmeier, D. & Reimann, R. (2012). Bildungspsychologie: Lebenslanges Lernen und Anwendungsperspektive im Zentrum. Psychologie in Österreich, 32(5), 383–389.
Spiel, C., Schober, B., Wagner, P. & Reimann, R. (Hrsg.). (2010). Bildungspsychologie. Göttingen: Hogrefe.