Arbeiterbildung

Joachim Ludwig

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-018

Die A. entstand mit der Industriegesellschaft und der Arbeiterbewegung im 19. Jh. Sie war Ergebnis der Aufklärung und zielte mit einer praktisch-politischen Zielsetzung auf die Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterinnen und Arbeiter.

Die A. umfasst keinen einheitlichen Prozess, sondern unterschiedliche Träger, Konzepte, Zielsetzungen und Zielgruppen. In einem engeren Sinne wird sie bis heute als gewerkschaftliche Bildungsarbeit für alle abhängig Beschäftigten fortgeführt. Die A. ist der Ausgangspunkt für eine gesellschaftskritische Erwachsenenbildung die über politische, ökonomische, ökologische und sozial-kulturelle Verhältnisse aufklären will und selbst im Spannungsfeld von Emanzipation und Funktion steht.

Die A. hat sich in den 200 Jahren ihrer Existenz immer wieder verändert. In ihren Anfängen, während der ersten Hälfte des 19. Jh., war sie stark von der Elementar- und Berufsbildung geprägt. Es entstanden Zeichenschulen, Realschulen, Handwerker- und Arbeiterbildungsvereine. In den Arbeiterbildungsvereinen wurden auch revolutionäre Gedanken bewegt (Geschichte der Erwachsenenbildung in Deutschland – bis 1918).

Die Arbeiterschaft lebte am Rande des Existenzminimums. Mit fortschreitender Industrialisierung wurden sich die Arbeiterinnen und Arbeiter ihrer neuen Stellung bewusst. Unter den restriktiven Bedingungen des Sozialistengesetzes (1878 bis 1890) sorgten die Arbeiterbildungsvereine für die Kontinuität der Arbeiterbewegung. Die A. stand in Distanz zum Staat. Die Bildungsinhalte bis zum Ersten Weltkrieg lagen im Spannungsfeld zwischen funktionaler Elementarbildung und Schärfung des Klassenbewusstseins.

Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt die Erwachsenen- und Weiterbildung insgesamt Verfassungsrang und wurde öffentlich gefördert. Das hatte Folgen für die A.: Sie erhielt u. a. mit der Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes neue Aufgaben in der Funktionärsschulung und wurde insb. durch die sozialdemokratische und gewerkschaftliche A. stärker in die Gesellschaft integriert. Ihr Selbstverständnis lag zwischen Revolution und Staatsbürgertum.

In der Weimarer Zeit lassen sich drei Hauptströmungen unterscheiden: (1) die marxistische A., die auf den revolutionären Kampf vorbereitete und einen neuen Menschen schaffen wollte; (2) die sozialistische A., die die Arbeiterschaft zur Selbsttätigkeit und zur Emanzipation von der bürgerlichen Gesellschaft anleiten wollte; (3) die bürgerlich-liberale A., die auf eine kulturelle Integration der Arbeiterinnen und Arbeiter in die bürgerliche Gesellschaft zielte.

Es gab vielfache Überschneidungen. Die Volkshochschule Leipzig verstand sich als Bildungsstätte der freien A. Sie tauschte sich in programmatischer Hinsicht mit der sozialistischen A. aus.

Die A. war durch ihren praktischen Bezug charakterisiert, der sich an der Arbeits- (Arbeit) und Lebenswelt der Arbeiterschaft orientierte. Die Bildungsarbeit erfolgte erfahrungsorientiert, u. a. mit der biografischen Methode (Biografie), indem der Lebenslauf und die subjektiven Erfahrungen der Arbeiterinnen und Arbeiter zur Grundlage gemacht wurden. In Heimvolkshochschulen wurden Lebens- und Arbeitsgemeinschaften gegründet, die den Zusammenhang von Arbeit, Arbeitskampf, Leben und Lernen erfahrbar und praktisch werden lassen wollten. Es waren Gemeinschaften, die mehrere Monate zusammenlebten. Bildung sollte die Erfahrung einer neuen freien Lebensform ermöglichen.

Die A. findet nach dem Zweiten Weltkrieg ihren institutionellen Rahmen v. a. in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit. Sie steht nach wie vor im Spannungsverhältnis von Funktionalität und Emanzipation. Die A. übt praktische Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und geht mit unterschiedlichen Ansätzen von den Erfahrungen der Teilnehmenden aus (Teilnehmerorientierung). Negts (1975) Konzept des exemplarischen Lernens greift das Vermittlungsproblem zwischen blockierten individuellen und kollektiven, an die Produktionsprozesse gebundenen Erfahrungen am prominentesten auf. Daran anschließend wird heute eine stärkere Öffnung des Erfahrungsansatzes hin zu den Subjekten durch biografisches Lernen und beratungsorientierte Ansätze (Beratung im Kontext lebenslangen Lernens) gesucht.

Literatur

Faulstich, P. (2012). Suche nach Wissen. Mit Wissen zur Macht – Wilhelm Weitling und die Arbeiterbildung. In P. Faulstich & M. Bayer (Hrsg.), LernLust. Hunger nach Wissen, lustvolle Weiterbildung (S. 17–22). Hamburg: VSA.

Negt, O. (1975). Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen. Zur Theorie der Arbeiterbildung (7. Aufl.). Frankfurt a. M.: Europäische Verlagsanstalt.

Wollenberg, J. (1983). Arbeiterbildung. Haupttendenzen der Bildungsarbeit in ihrer geschichtlichen Entwicklung. Hagen: FU Hagen.

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