Aneignung – Vermittlung

Jörg Dinkelaker

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-010

Der Begriff A. verweist auf den prinzipiell dem pädagogischen Handeln ( Didaktik – Methodik) unverfügbaren, individuell differenten Umgang von Adressatinnen und Adres­saten sowie Teilnehmenden mit Wissen und Bildungsangeboten (Hartz, 2014). Pädagogisches Handeln gründet zwar in der Absicht, Dynamiken produktiver A. zu ermöglichen. Durch dieses können aber die Aneignungsaktivitäten seiner Adressatinnen und Adressaten im technischen Sinne nicht hergestellt, geschweige denn kontrolliert werden.

Um das pädagogische Handeln näher zu kennzeichnen, dessen Gegenstand in diesem Sinne als A. verstanden wird, wird der Begriff V. verwendet. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass das aneignungsbezogene pädagogische Handeln ( Lehren; Unterricht) eine Stellung zwischen dem zu vermittelnden Wissen und den Aneignungsaktivitäten einnimmt, von der aus eine Überbrückung der Differenz möglich werden soll. Das Gelingen einer jeden V. setzt notwendigerweise produktive, eigenständige Aneignungsprozesse voraus ( Gedächtnis; Lernen). Wo die Unverfügbarkeit der A. nicht systematisch berücksichtigt wird, unterliegt pädagogisches Handeln einer „Vermittlungsillusion“ (Arnold, 2007, 34).

A. und V. verweisen in pädagogischen Situationen somit wechselseitig aufeinander. Aneignungsaktivitäten werden daraufhin beobachtet, inwiefern und wie sie auf Vermittlungsaktivitäten bezogen sind, und umgekehrt werden Vermittlungsaktivitäten im Hinblick auf ihren Aneignungsbezug beurteilt. Pädagogische Situationen konstituieren sich somit immer dann bzw. überall dort, wo Aneignungs- und Vermittlungsaktivitäten in dieser Weise voneinander unterschieden und aufeinander bezogen werden (Kade, 2004).

Die Differenz zwischen A. und V. wird damit in dreifacher Weise für die Erziehungswissenschaft und für professionelles pädagogisches Handeln bedeutsam:

  1. als eine normative Unterscheidung, mit der es möglich wird, als zentralen Wert des Bildungsgeschehens die subjektive A. und damit die individuell-plurale Auseinandersetzung der Adressatinnen und Adressaten mit Kultur, Wissen und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Als Grundlage des Aneignungsgeschehens treten die biografischen Erfahrungen Erwachsener in den Vordergrund ( Biografie; Erfahrungen – Erfahrungsorientierung).
  2. als eine deskriptive Unterscheidung, die die Dynamiken der wechselseitigen Verschränkung von Aneignungsaktivitäten und Vermittlungsbemühungen im Erwachsenenbildungsgeschehen zum Gegenstand empirischer Analysen erhebt. Diese Verschränkung wird in pädagogische Situationen von den Beteiligten gemeinsam hervorgebracht, aufrechterhalten und transformiert.
  3. als ein relationales Begriffspaar, das es erlaubt, pädagogische Situationen zu anderen sozialen Situationen ins Verhältnis zu setzen. Mithilfe einer Bestimmung erwachsenenpädagogischer Situationen als Situationen der Prozessierung der Differenz zwischen A. und V. wird es möglich, sowohl das Geschehen in organisierten Bildungsangeboten als auch das Geschehen an anderen gesellschaftlichen Orten des Umgangs mit dem Lernen Erwachsener ( Lernorte) empirisch in den Blick zu nehmen (Dinkel­aker, 2019).

Literatur

Arnold, R. (2003). Ich lerne, also bin ich. Eine systemisch-konstruktivistische Didaktik. Heidelberg: Carl Auer.

Dinkelaker, J. (2019). Unterschiede im Entgrenzten. Zur Frage nach den Konturen von Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In O. Dörner et al. (Hrsg.), Erwachsenenbildung und Lernen in Zeiten von Globalisierung, Transformation und Entgrenzung (S. 37–48). Opladen: Barbara Budrich.

Hartz, S. (2014). Aneignung. In J. Dinkelaker & A. von Hippel (Hrsg.), Erwachsenenbildung in Grundbegriffen (S. 42–48). Stuttgart: Kohlhammer.

Kade, J. (2004). Erziehung als pädagogische Kommunikation. In D. Lenzen (Hrsg.), Irritationen des Erziehungssystems. Pädagogische Resonanzen auf Niklas Luhmann (S. 199–232). Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

Andragogik
Anerkennung – Validierung