Ästhetisch-kulturelle Bildung

Ekkehard Nuissl

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-024

Ä.-k. B. ist ein inhaltlich und methodisch definierter Teil von Bildungsangeboten in Schule und Weiterbildung und ein wesentliches Element von Lern- (Lernen) und Sozialisationsprozessen (Sozialisation) von Individuen. Entsprechend der umfassenden Bedeutung des Begriffs „Kultur“ umfasst ä.-k. B. Kunst, Ästhetik, Verhalten, Geschichte, Normen und Werte. Im engeren Verständnis aus Sicht der Bildungsanbieter konzen­triert sich ä.-k. B. auf künstlerisches und ästhetisches Lernen einerseits und kreatives Bilden und Gestalten andererseits. Im weiteren Verständnis aus Sicht der Lernenden stellt
ä.-k. B. den Aneignungsprozess von Kultur im Lebenslauf dar (Nuissl & Przybylska, 2017).

In Weiterbildungsangeboten geht es bei der ä.-kulturellen B. im Wesentlichen um ästhetisches Verständnis, Wissen um Kunst und Kultur sowie Kompetenz zum eigenen künstlerischen und kreativen Gestalten (Kreativität). Entsprechend sind die Angebote der ä.-kulturellen B. in zwei größere Komplexe aufgeteilt: Veranstaltungen zur Vermittlung von Wissen zu Kunst und Kultur einerseits und Veranstaltungen zur Produktion von künstlerischen und ästhetischen Gegenständen andererseits. In den Vermittlungsangeboten überwiegen Methoden wie Vorträge, Führungen, Lesungen und andere Formen zur Erarbeitung von Wissen. In den gestaltungsorientierten Angeboten finden sich v. a. Sozialformen wie Werkstätten (z. B. Schreibwerkstätten), Ateliers, Musikgruppen und kunsthandwerkliche Arrangements. Vielfach werden der stärker wissens- und der stärker kompetenzbezogene Ansatz der ä.-kulturellen B. auch miteinander verbunden, z. B. in Museen bei der Reproduktion bedeutender Kunstwerke.

Im gesamten Bereich der organisierten Weiterbildung zählt ä.-k. B. zur allgemeinen Bildung, in einer Kategorie mit historischen, politischen und philosophischen Inhalten, in Abgrenzung zur beruflichen Bildung (Berufsbildung) (in der europäischen Statistik Adult Education Survey (AES) figuriert sie nur noch als Residualkategorie der nicht-berufsbezogenen Bildung). In Deutschland wird ä.-k. B. für Erwachsene v. a. in Volkshochschulen angeboten; dort macht sie etwa ein Fünftel des Gesamtangebots aus. Aber auch andere Kulturinstitutionen wie Museen (Museumspädagogik), Theater, Bibliotheken, Musikschulen und Literaturhäuser tragen zum kulturellen Bildungsangebot bei. In den verfügbaren Statistiken werden Angebote der ä.-kulturellen B. insb. von Frauen wahrgenommen, in den Volkshochschulen etwa zu 80 Prozent (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2012).

Innerhalb der allgemeinen Bildung kommt ä.-kultureller B. eine Sonderrolle zu, da sie methodisch (Experiment, Produktion, Kreation, Improvisation) offene Lernprozesse initiiert und sich stark auf wissenschaftliche Disziplinen und Teilgebiete wie Kunstwissenschaft, Ästhetik und Kunstgeschichte bezieht. Inhaltlich und methodisch bedeutet das auch einen Unterschied zu anderen pädagogischen Feldern: Ä.-k. B. zielt nicht auf Eindeutigkeit ab, sondern auf diskursive Bearbeitung von Mehrdeutigkeit (Diskurs). Sie fördert nicht nur kreative Fähigkeiten und ästhetische Kompetenzen, sondern auch Reflexion und Sensibilität für soziale und persönliche Sachverhalte. Aus diesem Grund haben Ansätze und Methoden der ä.-kulturellen B. auch zunehmend Eingang in die Praxis anderer Bildungsbereiche, auch der beruflichen Bildung, gefunden (Gassner, Schams & Fleige, 2020).

Wesentlich bedeutsamer als die ä.-k. B. im System organisierter Weiterbildung ist sie als Bestandteil informellen Lernens (formale – non-formale – informelle Bildung). Das Hineinwachsen der Individuen in eine Kultur („Enkulturation“) ist verbunden mit der Aneignung kultureller Wissensbestände, Verhaltensweisen und Wertvorstellungen (Sozialisation). Diese Aneignung erfolgt in unterschiedlichen Lebensbereichen wie Familie, Beruf, Freundeskreise, in unterschiedlichen Institutionen wie Schulen und Museen, in der täglichen Umwelt wie beim Wahrnehmen von Denkmälern, Straßennamen und Einkaufsbereichen, aber auch durch Instrumente des kommunikativen Umgangs wie Sprache, Sitten und Gebräuche (Nuissl & Przybylska, 2017). Im Idealfall wird die Enkulturation über Prozesse intentionalen Lernens zu einem reflektierten Umgang mit der eigenen Identität und ihrer Umgebung. Ansätze zu einer Verbindung des informellen Lernens und organisierter ä.-kultureller B. sind vorhanden, jedoch noch wenig entwickelt. Hier liegt perspektivisch ein hohes innovatives Potenzial für die Weiterbildung (Innovation), gerade auch mit Blick auf die Multikulturalität des Einwanderungslands Deutschland (Gogolin et al., 2018).

Literatur

Autorengruppe Bildungsberichterstattung. (2012). Kulturelle/musisch-ästhetische Bildung im Lebenslauf. In Autorengruppe Bildungsberichterstattung. (Hrsg.), Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf (S. 157–198). Bielefeld: wbv Publikation.

Gassner, J., Schams, M. & Fleige, M. (Hrsg.). (2020). Kulturelle Erwachsenenbildung. Bedeutung, Planung und Umsetzung (Reihe Perspektive Praxis, Bd. 30). Bielefeld: wbv Publikation.

Gogolin, I., Georgi, V. B., Krüger-Potratz, M., Lengyel, D. & Sandfuchs, U. (Hrsg.). (2018). Handbuch interkulturelle Pädagogik. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.

Nuissl, E. & Przybylska, E. (2017). Kultur aneignen. Vom Erlernen kultureller Identität. Baltmannsweiler: Schneider.

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