Ethik professionellen Handelns

Josef Schrader

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-086

Erwachsenenbildung ist „unausweichlich eine moralische Praxis“ (Fuhr, 2011, S. 510). Das betrifft den moralischen Gehalt des vermittelten Wissens und Könnens, das moralische Handeln und Verhalten der Lehrenden und Lernenden sowie die Unterstützung der moralischen Entwicklung der Teilnehmenden. Diese „doppelte Moralität“ (Klaus Prange) –
in den Zielen und Inhalten sowie in der Arbeitsweise – erfordert ethische Reflexionen zu den Bedingungen, Prinzipien und Zielen des Handelns (Ethik).

Allgemein anerkannte Maßgaben für eine E. p. H. fehlen in der Erwachsenen- und Weiterbildung noch (Bernhardsson & Fuhr, 2014); dies lässt sich als Hinweis auf eine noch unabgeschlossene Professionalisierung deuten. Eine solche E. p. H. zu entwickeln erfordert, das Verhältnis von fundamentaler Ethik und angewandter Ethik zu bestimmen. Fundamentalethiken bemühen sich um Letztbegründungen für das gute und richtige Leben und orientieren sich dabei an der Idee des Guten (Platon), des guten Willens (Immanuel Kant) oder des geglückten Lebens (Aristoteles) und wurden als formale (Immanuel Kant) und als materiale Ethiken (Max Scheler) entwickelt.

Eine materiale und fundamentale Ethik für das Handeln von Lehrenden und Erziehenden hat Hartmut von Hentig als „Sokratischen Eid“ in die Diskussion gebracht. Von Hentig orientiert sich an einem Katalog allgemeiner Menschenrechte, die in der europäischen Geschichte seit der Aufklärung breite Anerkennung finden. So verpflichten sich Lehrende und Erziehende im Sokratischen Eid u. a., „die Eigenheiten eines jeden Kindes zu achten und gegen jedermann zu verteidigen“. Demgegenüber entwickelte Klaus Prange eine formale und berufsspezifische Ethik, die Maßstäbe ethischen Handelns aus den pädagogischen Aufgaben ableitet. Er bindet pädagogische Ethik an Mandat und Lizenz der didaktisch Handelnden, die sich an den Maßgaben der Verständlichkeit (Gebot der Wahrheit bzw. Rationalität), der Zumutbarkeit (Gebot der Achtung) und der Anschlussfähigkeit (Gebot der Anwendbarkeit in Freiheit) zu orientieren hätten. Vertreter einer Prinzipienethik (Tom Beauchamp & James Childress) haben aus der „Applikationsaporie“, d. h. aus dem Fehlen einer überzeugenden Ableitung von Berufs- oder Bereichsethiken aus Fundamentalethiken, den Schluss gezogen, aus den existierenden Werten und Normen professionellen Handelns eine Alltagsmoral zu rekonstruieren. Diese Re­kon­struk­tion führt u. a. zu den Prinzipien des Nicht-Schadens, des Wohltuns, des Respekts vor der Autonomie der Patientin bzw. des Patienten und der Gerechtigkeit im Sinne der Gleichbehandlung aller Patientinnen und Patienten (dazu Schrader, 2018).

Die geisteswissenschaftliche Pädagogik hat ethische Fragen anhand der Kategorie des pädagogischen Bezugs (Herman Nohl, auch mit Blick für die Volksbildungsbewegung) erörtert, wonach das pädagogische Verhältnis „um seiner [des Lernenden] selbst willen“ zu gestalten sei. In kompetenztheoretisch fundierten Modellen professionellen Handelns (z. B. Jürgen Baumert & Mareike Kunter; Kompetenzerfassung) werden „Wertüberzeugungen“ als beliefs – d. h. als (unterrichts-)fachbezogene, epistemologische Überzeugungen – operationalisiert. In der Erwachsenenbildung hat man bislang allenfalls in Teilbereichen den Versuch unternommen, pädagogisches Handeln ethisch zu kodifizieren. Das gilt bspw. für den „Beutelsbacher Konsens“ aus dem Jahr 1976, der das Handeln politisch Bildender an den Maßgaben eines Überwältigungsverbots, der Kontroversität und der Lernerorientierung ausrichtet (politische Bildung). Der Berufskodex vom Forum Werteorientierung in der Weiterbildung e. V. verpflichtet Trainerinnen und Trainer sowie Coaches auf die Werteordnung der Menschenrechte. Schrader (2018, S. 125) hat Eckpunkte für eine E. p. H. vorgeschlagen, die – wie Prange – von Mandat und Lizenz professionellen Handelns ausgehen und Grundsätze einer Prinzipienethik aufgreifen.

Die Verankerung einer E. p. H. im Feld lässt sich vermutlich nur im Zusammenspiel von Berufs- und Trägerverbänden sowie wissenschaftlichen Einrichtungen erreichen. Zu ihrer Vermittlung könnte die Diskussion dilemmatischer Situationen und Fälle beitragen, da Moral nicht gepredigt werden kann. Wünschenswert ist ein Berufskodex für die Erwachsenenbildung v. a. deshalb, weil Teilnehmende einen legitimen Anspruch auf Professionalität, Zumutbarkeit und Anschlussfähigkeit pädagogischer Leistungen haben.

Literatur

Bernhardsson, N. & Fuhr, T. (2014). Standards ethischen Handelns in Verbänden der Erwachsenenbildung. Zum Stand der Entwicklung einer erwachsenenpädagogischen Bereichsethik. Report. Zeitschrift für Weiterbildungsforschung, 37(1), 39–58.

Fuhr, T. (2011). Ethik der Erwachsenenbildung/Weiterbildung. In T. Fuhr, P. Gonon & C. Hof (Hrsg.), Erwachsenenbildung – Weiterbildung (Handbuch der Erziehungswissenschaft, Bd. 4, S. 505–518). Paderborn: Ferdinand Schöningh.

Schrader, J. (2018). Lehren und Lernen in der Erwachsenen- und Weiterbildung (Lehrbuchreihe Erwachsenen- und Weiterbildung, Befunde – Diskurse – Transfer, Bd. 1, utb 4967). Bielefeld: wbv Publikation.

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