Ermöglichungsdidaktik

Rolf Arnold

DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-077

Mit dem Begriff E. wird ein Verständnis des Lehr-Lern-Prozesses charakterisiert, das um dessen Eigendynamik und Selbstorganisation sowie die begrenzte „Machbarkeit“ von Lernergebnisse weiß. Anders als erzeugungsdidaktische Konzepte geht die E. nicht davon aus, dass durch eine didaktische Optimierung des Inputs, d. h. eine möglichst
exakte Lernzielbestimmung (Lehr-Lern-Ziele) sowie eine detaillierte Lernplanung, Lernerfolge gewährleistet werden können. Im Anschluss an neuere kognitionstheoretische (­Kognition) sowie konstruktivistische Konzepte (Konstruktivismus) werden die Lernenden vielmehr als relativ geschlossene, selbstorganisierte Systeme verstanden, deren Kompetenz- (Kompetenz) und Identitätsentwicklung (Identität) zwar durch externe Inputs angeregt, aber nicht zielgenau beeinflusst werden kann. Professionelle Lehr-Lern-Arrangements können demnach individuelle Aneignung (Aneignung – Vermittlung) von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten lediglich ermöglichen, sie können diese aber nicht wie bei einer „Trivialmaschine“ erzeugen. Deshalb fokussiert die E. auf den Outcome von Lernprozessen (z. B. Lernerfolg, erweiterte Handlungsmöglichkeiten), weniger auf den Input. Sie steht für die Vielfalt von Aneignungsprozessen und die Begleitung von selbstorganisierten und kompetenzorientierten Lernprozessen (Arnold & Schön, 2019).

Während die Lernziel- und Curriculumtheorien (Curriculum) der 1970er Jahre, die auch Einzug in die Erwachsenenbildung hielten, eher dazu beitrugen, dass Vorstellungen einer Ingenieurslogik auch für die Professionalität und Didaktik der Erwachsenenbildung eine gewisse Leitfunktion erhielten, besinnt man sich seit den 1980er Jahren wieder stärker auf den Bildungsbegriff (Bildung – Allgemeinbildung) und die Professionalisierungskonzepte (Professionalisierung) der geisteswissenschaftlichen Päda­gogik – wenn auch in sozialwissenschaftlicher Reformulierung. Diese können heute allerdings systemtheoretisch sehr viel präziser gefasst werden. Sprach Eduard Spranger (1882–1963) bereits von den „ungewollten Nebenwirkungen“ pädagogischen Handelns und wies damit auf die nur begrenzte Beherrschbarkeit von Bildungs- und Lernprozessen als Problem hin, so erhebt die systemtheoretisch inspirierte E. diese pädagogische Kontingenz zum Programm (systemische Erwachsenenbildung). Nachhaltig und transformierend ist ein Erwachsenenlernen nur, wenn es die Lernenden nicht nach einem geplanten Konzept zu „belehren“ trachtet, sondern wenn es ihnen die Möglichkeit gibt, selbstorganisiert (bzw. selbstgesteuert), produktiv (ergebnisreich), aktiv (in eigener Suchbewegung), sozial (in Beziehung mit anderen) und situiert (auf Lebenssituationen bezogen) eigene Lernprozesse zu realisieren (handlungsorientierte Didaktik). Das aus den Anfangsbuchstaben dieser Kriterien gebildete Akronym S.P.A.S.S. markiert das Kernmodell der E. in der derzeit ausgearbeiteten Form (Arnold & Schön, 2019, S. 105ff.).

Insb. die Reformpädagogik (1890–1930) hatte bereits wichtige Anregungen und Vorarbeiten für die Entwicklung ermöglichungsdidaktischer Konzepte geliefert. So verbirgt sich z. B. hinter der in den 1920er Jahren propagierten Erwachsenenbildungsmethode der Arbeitsgemeinschaft eine Didaktik, die versucht, weitgehend ohne didaktische „Erzeugung“ auszukommen. Erwachsene sollen vielmehr durch die Angebote der Erwachsenenbildung Gelegenheit erhalten, in der Begegnung mit anderen kooperativ voneinander zu lernen. Durch die im Umfeld der humanistischen Psychologie von Ruth Cohn (1912–2010) und Carl Rogers (1902–1987) entstandenen Methoden eines lebendigen Lernens hat sich das ermöglichungsdidaktische Methodenarsenal der Erwachsenenbildung erheblich erweitert. Damit diese Methoden wirksam werden und auch in den Institutionen der Weiterbildung eine Kultur des selbstgesteuerten Lernens reifen kann (Selbstorganisation – Selbststeuerung – Selbstlernen), ist es allerdings notwendig, dass sich die professionell erwachsenenpädagogisch Tätigen selbst von ihrer Rolle als im Zentrum des Geschehens stehende „Vermittler“ und „Macher“ lösen und Lerngelegenheiten schaffen, in denen erwachsene Lernende selbstorganisiert lernen, dabei ihre eigenen Lernmethoden verfeinern und so ein Vertrauen in ihre eigenen Kräfte entwickeln können. Erwachsenenpädagogisches Personal, das solche Lernprozesse arrangieren, initiieren und begleiten kann, hat mit den vielfach noch überkommenden Profilen von Dozierenden oder Referentinnen und Referenten nur noch wenig gemeinsam. Vielmehr übernimmt es die Rolle von Lernarrangeurinnen bzw. -arrangeuren, Lernbegleitenden und Lernberatenden (Beratung im Kontext lebenslangen Lernens) oder von Coaches (Coaching) für die Lernenden und somit von facilitators (Ermöglichenden) im Sinne von Carl Rogers. Eine zunehmende Zahl von Weiterbildungsanbietern und -organisationen hat sich deshalb in den letzten Jahren darum bemüht, ihr Bildungspersonal auf diese erweiterte bzw. neu justierte Rolle in der Lernbegleitung vorzubereiten (Weiterbildung der Weiterbildenden). Solche ermöglichungsdidaktischen Entwicklungen schaffen wesentliche Voraussetzungen für die Befähigung zum lebenslangen Lernen (lifelong learning) des Einzelnen, der Organisationen und der Gesellschaft.

Literatur

Arnold, R. (2012). Ermöglichen. Texte zur Kompetenzreifung. Baltmannsweiler: Schneider.

Arnold, R. & Gómez Tutor, C. (2007). Grundlinien einer Ermöglichungsdidaktik. Bildung ermöglichen, Vielfalt gestalten. Augsburg: ZIEL.

Arnold, R. & Schön, M. (2019). Ermöglichungsdidaktik. Ein Lernbuch. Bern (CH): hep.

Arnold, R. & Schüssler, I. (Hrsg.). (2018). Ermöglichungsdidaktik. Erwachsenenpädagogische Grundlagen und Erfahrungen (3. Aufl.). Baltmannsweiler: Schneider.

Erlebnispädagogik
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