Matthias Rohs
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-068
→ Lernen ist eine subjektive Eigenleistung, die sich in sozialen Kontexten vollzieht. Begriffe wie d. L., „digitale Bildung“ oder „E-Learning“ sind daher nicht gleichzusetzen mit diesem Aneignungsprozess, sondern beschreiben die Nutzung digitaler Medien für Lernen im Kontext → formaler, non-formaler und informeller Bildung.
Im Bereich (non-)formaler Bildung ist Lernen mit digitalen Medien in eine umfassende Digitalisierung von Bildungsprozessen eingebunden, welche von der Analyse und Planung von Lehr-Lern-Prozessen über die Gestaltung von Lernumgebungen, die Präsentation von → Inhalten, die Kommunikation und Lernbegleitung (→ Interaktion – Kommunikation), die Prüfung und Erfassung von → Wissen und → Kompetenzen bis hin zur → Evaluation von Angeboten sowie den Transfer reicht (Kerres, 2016).
Digitale Medien sind eine relativ neue Form von → Medien in Lehr-Lern-Prozessen, die seit den 1990er Jahren in der Erwachsenenbildung intensiver eingesetzt werden. Aus technologischer Perspektive sind hierunter Geräte und Anwendungen zu verstehen, die auf einer digitalen Codierung von Informationen basieren und damit von Computern gespeichert, verarbeitet und übertragen werden können. Im Bildungsbereich wird in diesem Zusammenhang auch von „digitalen Bildungsmedien“, von „Bildungstechnologie“ (educational technology, kurz EdTech) oder auch von „digitalen Lehr-Lern-Medien“ gesprochen.
Erste Ansätze des Einsatzes digitaler Medien gehen auf Formen des programmierten Unterrichts und (intelligente) tutorielle Systeme zurück, die seit den 1970er Jahren auf Computern umgesetzt und auch in der → Erwachsenen- und Weiterbildung eingesetzt werden. In dieser Zeit entstanden zudem erste Selbstlernzentren, z. B. in → Bibliotheken oder → Volkshochschulen (vhs), die Computer für Lernzwecke zur Verfügung stellten. Die zum Teil großen Hoffnungen, die mit dem Einsatz digitaler Medien verbunden waren, erfüllten sich aber nur begrenzt. Dennoch intensivierte sich vor dem Hintergrund der Verbreitung „neuer Medien“ in den 1980er Jahren – worunter neben dem Computer auch Kabel- und Satellitenfernsehen sowie Tele- und Bildschirmtext verstanden werden –
die Diskussion um die Potenziale digitaler Medien in der Erwachsenenbildung. Insb. in der → betrieblichen Weiterbildung und im → Fernstudium wurden entsprechende Technologien erprobt. Mit der Verbreitung von Personalcomputern in Betrieben und im privaten Umfeld gewannen individuell nutzbare Selbstlernprogramme an Popularität, sog. Computer Based Trainings (CBT), welche sich durch eine einfache, behavioristisch orientierte → Didaktik auszeichneten. Mit sich entwickelnder Leistungsfähigkeit der Rechner wurden diese auch multimedial gestaltet. Zeitlich überlappend etablierten sich sog. Web Based Trainings (WBT), bei denen die Distribution der Inhalte über das Internet erfolgte. Mit Social-Media-Anwendungen, die die Kommunikationsmöglichkeiten in Lehr-Lern-Prozessen erheblich erweiterten und vereinfachten, konnten schließlich vielfältige pädagogische Prozesse auch über digitale Medien abgebildet werden, die über Learning Management Systeme organisiert wurden.
Trotz dieser Möglichkeiten blieb ein ambivalentes Verhältnis der Erwachsenenbildung zu den technologischen Möglichkeiten bestehen, welches auch im Zusammenhang mit zum Teil ernüchternden Erfahrungen, der medienpädagogischen → Professionalisierung des → Personals in der Erwachsenenbildung sowie den zur Verfügung stehenden Ressourcen betrachtet werden muss. Die in der Folge zum Teil zaghafte Auseinandersetzung mit digitalen Medien sowie die aktuellen technologischen Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz fordern die Erwachsenenbildung heraus, sich in einer zunehmend digitalen Gesellschaft mit ihren Angeboten zu positionieren und zielgruppenspezifische Formen des Einsatzes digitaler Medien zu entwickeln (→ Zielgruppenorientierung). Die notwendige Umstellung der Weiterbildungsangebote infolge des Lockdowns in der Corona-Pandemie ab März 2020 fungierte dabei als Katalysator dieser Entwicklung und als möglicher Wegbereiter einer neuen Norm des Online-Lernens. Dabei zeigten sich schon zu Beginn der Pandemie deutliche Unterschiede in der Digitalisierungsgeschwindigkeit zwischen den → Weiterbildungsanbietern (Christ & Koscheck, 2021), was auf die Inhalte ihrer Angebote und die Präferenzen ihrer Zielgruppen, aber auch auf ihre Ressourcen, Kompetenzen und Wertorientierungen zurückgeführt werden kann. Unternehmen, aber auch Hochschulen nutzen dabei digitale Lehr-Lern-Technologien deutlich häufiger als Einrichtungen in Trägerschaft von Kirchen, Parteien, Gewerkschaften oder vhs (ebd.).
Die Aufnahme lehr-lern-technologischer → Innovationen in die erwachsenenpädagogische Praxis erfolgt bisher grundsätzlich mit Verzögerung, bzw. etablieren sich diese nur in Teilbereichen. In den Weiterbildungsangeboten dominieren zumeist einfache Anwendungsformen wie Präsentationsprogramme, der Einsatz von Videos, Tests oder Übungen (Schmid, Goetz & Behrens, 2017, S. 31). Die Gründe hierfür sind auch in den hohen Investitionskosten bei unklaren Wirkungen zu suchen. Mit den Risiken sind aber auch große Potenziale verbunden, wenn neue Geschäftsmodelle etabliert werden können. So wird der Weiterbildungsbereich auch als lukratives Marktsegment großer IT-Unternehmen gesehen, die über ihre Marktposition und ihre Daten von potenziellen Nutzerinnen und Nutzern ihrer Lehr-Lern-Angebote starken Einfluss auf den Weiterbildungsbereich nehmen können.
Es kann zwischen drei Einsatzformen digitaler Medien unterschieden werden:
- begleitend bei der Präsenz-Lehre, z. B. durch Beamer oder Online-Dienste zur Bereitstellung von Materialien oder zu organisatorischen Zwecken;
- als reine Online-Lehre, z. B. in Form eines Fernstudiums, bei dem der Zugang zu den Lerninhalten sowie die Kommunikation ausschließlich online erfolgt;
- als Blended Learning, bei dem Präsenz- und Online-Lehre zu unterschiedlichen Anteilen miteinander verbunden werden.
Nach Ergebnissen des Adult Education Survey (AES) wurden im Jahr 2018 noch 78 Prozent aller Weiterbildungsaktivitäten vollständig im Präsenzformat durchgeführt, weitere 17 Prozent als Blended Learning und nur 4 Prozent als reine Online-Angebote. Durch den Digitalisierungsschub in der Corona-Pandemie wird sich dieses Verhältnis deutlich verändern, zumal in der Bevölkerung eine große Offenheit gegenüber digitalen Medien vorhanden ist: So sind für 64 Prozent der Gesamtbevölkerung Bildungsaktivitäten ohne digitale Medien nicht mehr denkbar. Dabei haben das Alter, der Wohnort, der Migrationshintergrund (→ Migration) sowie der Bildungsabschluss und die berufliche Stellung einen Einfluss auf die → Teilnahme an Erwachsenen- und Weiterbildung mit digitalen Medien (BMBF, 2020).
Darüber hinaus hat durch die ubiquitäre Verfügbarkeit von Lernressourcen über das Internet auch das informelle und selbstgesteuerte Lernen mit digitalen Medien an Bedeutung gewonnen (→ Selbstorganisation – Selbststeuerung – Selbstlernen) und ist für „die Hälfte der Bevölkerung zum integralen Bestandteil des täglichen Lebens geworden“ (Schmid, Goetz & Behrens, 2017, S. 6).
Lernen mit und über digitale Medien erfordert von den → Lernenden eine entsprechende Informations- und Medienkompetenz (information and digital literacy) für die Auswahl und Bewertung geeigneter Lernressourcen, für die funktionale Anwendung digitaler Medien und auch für die Gestaltung eigener Medienprodukte. Gerade geringe Medienkompetenz wird neben unterschiedlichen Nutzungsgewohnheiten (z. B. unterhaltungs- vs. informationsorientiert) als Indikator für unterschiedliche Erträge beim Lernen mit digitalen Medien betrachtet und für die Erklärung digitaler Ungleichheit (digital inequality) herangezogen.
Die Wirkungen digitaler Medien auf den Lernprozess werden kontrovers diskutiert. Auf der einen Seite werden Möglichkeiten der Verbesserung von Lernleistungen, eine individuelle Förderung von Lernenden oder ein einfacherer Zugang zu Lernressourcen als Argumente für eine Digitalisierung der Bildung angeführt; auf der anderen Seite ist die Frage unbeantwortet, wer unter welchen Bedingungen von der Digitalisierung profitiert. Befürworter und Gegner der Digitalisierung stehen sich so weiterhin gegenüber. Während einerseits die „Digitale Bildungsrevolution“ (Dräger & Müller-Eiselt, 2015) gefordert wird, werden andererseits die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Bildungsbereich kritisch beleuchtet (Selwyn, 2016). Neben ungleichen Zugängen in der Nutzung digitaler Lehr-Lern-Angebote aufgrund struktureller oder individueller Weiterbildungsbarrieren werden auch ethische Fragen der Datenverwendung und -auswertung auf mikro- und makrodidaktischer Ebene diskutiert (z. B. dropout prediction, educational datamining, learning analytics). Diese Fragen verweisen auf den Bedarf an einer Berufsethik (→ Ethik; → Ethik professionellen Handelns), die durch die Digitalisierung der Weiterbildung eine neue Relevanz erfährt (Rohs & Bernhardsson-Laros, 2021).
Demgegenüber liegt eine Vielzahl von Studien vor, in denen vergleichsweise geringe Effekte des Online-Lernens gegenüber Lehr-Lern-Situation in leiblicher Ko-Präsenz nachgewiesen werden. Als problematisch wird dabei jedoch eine grundsätzliche Vergleichbarkeit beider Formen diskutiert, da die Wirkungen i. d. R. der Technik und nicht der (medien-)didaktischen Konzeption zugesprochen wird (Kerres, 2021). Gleichzeitig sind den Lehr-Lern-Anwendungen auch Nutzungsformen eingeschrieben, die die didaktischen Gestaltungsmöglichkeiten erweitern, begrenzen und auch lenken können. Während technik-deterministische Positionen eine direkte Wirkung der Technologien auf den kulturellen und → sozialen Wandel annehmen, verweisen soziokonstruktivistische Perspektiven auf die Gestaltbarkeit der Auswirkungen und damit auf die Notwendigkeit eines → Diskurses zu den Zukunftsvorstellungen von digitalem L. in der Erwachsenen- und Weiterbildung.
Grundlage hierfür sind auch wissenschaftliche Erkenntnisse zum digitalen L., die aus der Perspektive der → Weiterbildungsforschung bisher nur randständig adressiert wurden. Im Kontext der Interaktion bei Lehr-Lern-Prozessen sind das z. B. Fragen der Mediennutzung und -akzeptanz sowie der Medienbildung und -kompetenzentwicklung von Erwachsenen, der Gestaltung von Lehr-Lern-Prozessen mittels digitaler Technologien und deren Wirkung sowie der → Professionalisierung von erwachsenenpädagogisch Tätigen. Diese sind im Kontext transdisziplinärer Bezüge zur Psychologie, Soziologie, Philosophie, Informatik u. a. zu beantworten, wobei es wiederum die Potenziale aber auch Risiken der Digitalisierung zu erforschen gilt (Bernhard-Skala et al., 2021).
Literatur
Bernhard-Skala, C., Bolten-Bühler, R., Koller, J., Rohs, M. & Wahl, J. (2021). Impuls für eine erwachsenenpädagogische Digitalisierungsforschung. In C. Bernhard-Skala, R. Bolten-Bühler, J. Koller, M. Rohs & J. Wahl (Hrsg.), Erwachsenenpädagogische Digitalisierungsforschung. Impulse – Befunde – Perspektiven (S. 19–36). Bielefeld: wbv Publikation.
Bundesministerium für Bildung und Forschung. (2020). Digitalisierung in der Weiterbildung. Ergebnisse einer Zusatzstudie zum Adult Education Survey 2018. Bielefeld: wbv Publikation.
Christ, J. & Koscheck, S. (2021). Auswirkungen der Corona-Pandemie auf Weiterbildungsanbieter. Vorläufige Ergebnisse der wbmonitor Umfrage 2020. Bonn: BIBB/DIE.
Dräger, J. & Müller-Eiselt, R. (2015). Die digitale Bildungsrevolution. Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können (4. Aufl.). München: Deutsche Verlagsanstalt.
Kerres, M. (2016). E-Learning vs. Digitalisierung der Bildung: Neues Label oder neues Paradigma? In A. Hohenstein & K. Wilbers (Hrsg.), Handbuch E-Learning (61. Ergänzungslieferung). Köln: Deutscher Wirtschaftsdienst.
Kerres, M. (2021). Bildung in der digitalen Welt: Über Wirkungsannahmen und die soziale Konstruktion des Digitalen. In K. Rummler, I. Koppel, S. Aßmann, P. Bettinger & K. D. Wolf (Hrsg.), Jahrbuch Medienpädagogik 17: Lernen mit und über Medien in einer digitalen Welt (S. 1–32). Hamburg: tredition.
Schmid, U., Goertz, L. & Behrens, J. (2017). Monitor Digitale Bildung. Die Weiterbildung im digitalen Zeitalter. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.
Selwyn, N. (2016). Is technology good for education? Cambridge (GB): Politry Press.