Rudolf Tippelt
DOI: https://doi.org/10.35468/wbeb2022-067
Um systematisch lehr- und lernrelevante Handlungsfelder berücksichtigen und aufeinander beziehen zu können, ist die Unterscheidung von didaktischen H., also von verschiedenen Ebenen didaktischen Handelns (→ Didaktik – Methodik), sinnvoll. Es gibt diverse Möglichkeiten, um didaktische H. zu differenzieren; es geht aber immer darum, auf den verschiedenen Ebenen des Handelns die Lerninteressen (→ Lernmotivation – Lerninteresse) und Lernmöglichkeiten der unterschiedlichen Teilnehmergruppen zu fördern:
- Auf der Makroebene werden Bildungsbedarfe von Bevölkerungsgruppen ermittelt (→ Bildungsbedarfsanalyse – Bildungsbedarfserschließung), → Programme geplant (→ Programmplanung) und die Bedarfe mittels → Öffentlichkeitsarbeit und → Marketing angesprochen.
- Auf der Mesoebene werden → Angebote konzipiert und die organisatorischen Voraussetzungen (z. B. Dozentenwahl, Lehr- und Lernmethoden, Medien, Preisdifferenzierung, Räumlichkeiten, Zeitabläufe, Standorte) sichergestellt.
- Auf der Mikroebene werden die Angebote von Dozierenden konkret operationalisiert, durchgeführt (→ Lehren) und evaluiert (→ Evaluation). Dies geschieht heute in „Ko-Produktion“ mit den → Teilnehmenden, die den Handlungsablauf interaktiv beeinflussen (Tippelt et al., 2008).
Der bekannteste Entwurf eines nach Ebenen gegliederten didaktischen Handlungssystems wurde von Flechsig (1991) entwickelt. Die dort beschriebenen didaktischen H. beziehen sich in erster Linie auf das organisierte Lernen in Schulen; sie lassen sich aber auch auf andere → Lernorte und Bildungsinstitutionen sowie auf die → Erwachsenen- und Weiterbildung übertragen (Weinberg, 2000):
- Auf einer ersten Ebene wird didaktisches Handeln auf die Gestaltung der institutionellen, ökonomischen, personellen und konzeptionellen Rahmenbedingungen bezogen. Die Planung dieser soziokulturellen Ebene liegt vorwiegend im unmittelbaren Handlungsbereich von Bildungspolitikerinnen und -politikern (→ Weiterbildungspolitik), Bildungsplanerinnen und -planern und Verwaltungskräften, ist aber immer auch demokratisch kontrolliert.
- Auf einer zweiten Ebene werden übergreifende Lehrplan- und Institutionskonzepte gestaltet. Auf dieser Ebene werden Grundsätze der Lernorganisation festgelegt. Dementsprechend handeln hier Leitende (→ Leitung – Management) und Dozierende (→ Kursleitende – Trainer – Beratende) von Bildungseinrichtungen, Vertreterinnen und Vertreter von Interessens- und Trägerverbänden, Erziehungs- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, aber auch aktive Bürgerinnen und Bürger, die an der Gestaltung ihrer Einrichtung mitwirken können. Interessens- und Positionsunterschiede sind dabei selbstverständlich; ebenso werden Fragen der Kooperation und Konkurrenz thematisiert.
- Auf einer dritten Ebene werden → Fachbereiche, Unterrichtskonzepte und Angebote gestaltet. Es geht darum, für Fachbereiche und spezifische Adressatengruppen Pläne auszuarbeiten, die Angebotsdurchführung aber auch verantwortlich zu evaluieren und ggf. Konsequenzen zu ziehen sowie Alternativen zu entwickeln.
- Auf einer vierten Ebene werden einzelne Unterrichtseinheiten (→ Unterricht), die sich den Lehrplänen, Programmen und Angeboten zuordnen lassen, gestaltet. Dazu zählen nicht nur die Auswahl der Lehr-Lern-Materialien und Lerninhalte (→ Inhalte –
Themen), sondern auch die Formulierung von Ankündigungstexten und die Gestaltung von Marketinginstrumenten. Dies wird primär als Handlungsbereich der Lehrenden bzw. Dozierenden oder des Dozententeams angesehen; allerdings werden Absprachen mit den pädagogisch Mitarbeitenden vorausgesetzt (Siebert, 2003). - Auf einer fünften Ebene werden unter starker Berücksichtigung der Interessen und → Kompetenzen der → Lernenden konkrete Lehr-Lern-Situationen gestaltet. War dies früher vorrangig informierender Unterricht, ist diese Ebene heutzutage stark durch die moderierenden Fähigkeiten des pädagogischen Personals geprägt (→ Moderation).
Es wird deutlich, dass bei dem Versuch, Stufen der Unterrichts- und Lernwirklichkeit zu rekonstruieren (Flechsig, 1991), verschiedene professionelle pädagogische Gruppen miteinander kooperieren: Bildungspolitikerinnen und -politiker, Bildungsplanerinnen und -planer, Leitende von Bildungseinrichtungen, Fachbereichsleitende, Lehrende sowie Kursleitende und Teilnehmende von Bildungsveranstaltungen.
Verwandt mit dem Konzept von Flechsig ist der Vorschlag von Schulz (2006), der bei den didaktischen H. zwischen der Perspektivplanung (langfristige Planung durch Lehrpläne, → Curricula, Angebote), Umrissplanung (Abfolge mehrerer Kurs- und Unterrichtseinheiten), Prozessplanung (Ablaufplanung mit Teilnehmenden) und der laufenden Planungskorrektur (Anpassung der → Lehr-Lern-Ziele und → Methoden an die Lern- und Zielgruppe) unterscheidet.
Ein anderer Versuch, d. H. zu rekonstruieren, ergibt sich aus der Betrachtung des didaktischen Handelns im Zeitablauf. Jedem didaktischen Konkretisierungsprozess gehen kategoriale Situationsanalysen, prognostische Qualifikationsbestimmungen, Analysen der Lernvoraussetzungen der Teilnehmenden oder Analysen von Wissenschaftsdisziplinen voraus. Nur auf Basis der Analysen dieser vier Bereiche lassen sich auf einer weiteren Ebene die Lehr-Lern-Ziele und Lerninhalte konkret bestimmen. Daran schließt sich die Planung der Lernorganisation und der Mediennutzung (→ Medien in Lehr-Lern-Prozessen) an. Als nächste Ebene ist die konkrete konstruktivistische Gestaltung des Lehr-Lern-Prozesses zu nennen (→ Konstruktivismus). Diesem sollte sich im zeitlichen Verlauf eine Evaluations- und eine Revisionsphase des gesamten Lernprozesses anschließen (Siebert, 2003). Tietgens (1992) weist darauf hin, wie schwer diese Planungsschritte in der Erwachsenen- und Weiterbildung zu realisieren sind. Dennoch können dieser Zeitablauf didaktischen Handelns und die damit beschriebenen Ebenen zur situationsbezogenen Sensibilisierung des didaktischen Handelns in der Weiterbildung beitragen.
Auch aus der Diskussion zur Qualitätssicherung (→ Qualität) von Schule und Weiterbildung lassen sich d. H. ableiten, wobei hier Bronfenbrenners (1981) sozial-ökologische Entwicklungs- und Sozialisationstheorie grundlegend ist. In Anlehnung an Bronfenbrenner lassen sich die didaktischen H. in eine systematische Ordnung von fünf Systemen unterteilen:
- Im Mikrosystem (Lern-Lern-Situation) werden beim Lehren und Lernen die → Interaktion der Lehrenden und Lernenden berücksichtigt.
- Das Mesosystem (Umfeld des Lernenden) fokussiert die Wechselbeziehungen der verschiedenen Lebensbereiche (→ Lebenswelt), an denen das lernende Individuum aktiv beteiligt ist (z. B. Familie, Arbeit, Bekanntenkreis, Weiterbildungseinrichtung).
- Im Exosystem (Institution) werden die materiellen und organisatorischen Voraussetzungen der Bildung und Weiterbildung didaktisch definiert. Es geht z. B. um die räumliche (→ Raum) und technische Ausstattung einer Einrichtung oder die Kompetenzen des → Personals, die didaktisch beeinflussbar sind.
- Das Makrosystem (→ Gesellschaft) repräsentiert soziale, kulturelle, politische und ökonomische Zusammenhänge, z. B. das Werte- und Normensystem (demokratische Kultur) und rechtliche Regeln, die ihrerseits die Mikro-, Meso- und Exosysteme prägen.
- Das ergänzende Chronosystem (→ Zeit) erfasst die Lebensverläufe (→ Lebenslauf) und Lebensumstände wie Berufseintritt, Heirat, Pensionierung (normative Übergänge) sowie Scheidung, Krankheit, Umzug, Emigration, Arbeitslosigkeit, → Umschulung oder Berufswechsel (nicht-normative Übergänge). Die Berücksichtigung von Chronosystemen ist bei didaktischem Handeln in der Weiterbildung als besonders wichtig einzustufen (Tippelt & Schmidt-Hertha, 2020).
In der Qualitätsdebatte bezieht sich die erste der didaktischen H. nach Flechsig (1991) auf die angebotsbezogenen Stützsysteme sowie auf die formulierbaren Standards und ist z. B. durch eine adäquate Dozentenaus- und -fortbildung (→ Weiterbildung der Weiterbildenden), durch die Entwicklung von → Supportstrukturen in Form von Beratungen (→ Beratung im Kontext lebenslangen Lernens) und die konkrete Bestimmung organisatorischer aber äußerst wichtiger Rahmenbedingungen (wie → Bibliotheken, PC-Ausstattung oder Architektur von Einrichtungen) gestaltbar. Auf der zweiten Ebene geht es darum, durch didaktisches Handeln die nutzungsbezogenen Stützsysteme und z. B. die Absicherung von Lernleistungen durch Arbeitgeber, Familien und Peers zu analysieren und das → Lernen ggf. durch weitere Angebote (wie zusätzliche Stützkurse) zu fördern. Auf der dritten Ebene wird unter dem Aspekt von Qualitätssicherung beim didaktischen Handeln die Personalausstattung, die Unterrichtsverteilung, die faktische Nutzung der Unterrichtszeit, die methodische Gestaltung und Variabilität sowie die Kontinuität von Lehreinheiten berücksichtigt. Auf der vierten Ebene wird mit Bezug zu konkreten Lehr- und Lernsituationen die fachliche, pädagogische, beratende und methodische Kompetenz des Lehrpersonals thematisiert. Im Fall von Defiziten müssen diese Kernkompetenzen durch Dozentenfortbildungen (→ Fortbildung) erweitert werden. Auf der fünften Ebene berücksichtigt die Qualitätssicherung die kognitiven (→ Kognition) und affektiven Lernvoraussetzungen der Teilnehmenden. Besonders wichtig ist hier das Prinzip der Passung, d. h. dass die didaktische Gestaltung von Lehr-Lern-Situationen, aber auch schon die Programm- und Angebotsplanung an den Voraussetzungen der Teilnehmenden anschließen müssen (→ Teilnehmerorientierung). Dabei wird häufig eine Interessens- und Leistungsdifferenzierung notwendig.
Literatur
Bronfenbrenner, U. (1981). Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Natürliche und geplante Experimente. Stuttgart: Klett-Cotta.
Flechsig, K.-H. (1991). Kleines Handbuch didaktischer Modelle. Göttingen: Neuland.
Schulz, W. (2006). Die lerntheoretische Didaktik. In H. Gudjons & R. Winkel (Hrsg.), Didaktische Theorien (S. 35–56). Hamburg: Bergmann und Helbig.
Siebert, H. (2003). Didaktisches Handeln in der Erwachsenenbildung. Didaktik aus konstruktivistischer Sicht. Hergensweiler: Ziel.
Tietgens, H. (1992). Reflexionen zur Erwachsenendidaktik. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.
Tippelt, R. & Schmidt-Hertha, B. (2020). Sozialisation und informelles Lernen im Erwachsenenalter (Lehrbuchreihe Erwachsenen- und Weiterbildung. Befunde – Diskurse – Transfer, Bd. 3, utb 5621). Bielefeld: wbv Publikation.
Tippelt, R., Reich, J., Hippel, A. von, Barz, H. & Baum, D. (2008). Weiterbildung und soziale Milieus in Deutschland, Band 3: Milieumarketing implementieren (Reihe DIE spezial, Bd. 4). Bielefeld: W. Bertelsmann.
Weinberg, J. (2000). Einführung in das Studium der Erwachsenenbildung. Bad Heilbrunn: Julius Klinkhardt.